Haftstrafen rechtskräftig: 10 Jahre für Neonazirapper ‚Mr. Bond‘ und 4 Jahre für den Betreiber der antisemitischen Plattform ‚Judas Watch‘

Am 25.01.2023 verhandelte das Oberlandesgericht Wien die ausständige Strafberufung gegen die zwei Kärntner Brüder Benjamin und Philip H., nachdem der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde beider bereits im November letzten Jahres zurückwiesen hatte.

Die Berufung der Privatbeteiligten, vertreten durch den Wiener Anwalt Clemens Lahner, wurde ebenfalls abgewiesen. Man folgte auch hier der Entscheidung des Erstgerichts, wonach weitere Ermittlungen notwendig gewesen wären, um ihnen Schadenersatz zuzusprechen. Ein Versäumnis der Ermittlungsbehörden, die es auch unterließen die vielen Betroffenen, die auf der antisemitischen Feindesliste standen, über die Ausforschung des Betreibers zu informieren.

Opfer rechter Gewalt endlich ernst nehmen!

Die Verfehlungen im Strafverfahren gegen den neonazistischen Betreiber der Hetzplattform ‘Judas Watch’ stehen sinnbildlich für den skandalösen Umgang mit Opfern rechter Gewalt in Österreich. In einer Presseaussendung der JÖH und ÖH Uni Wien kommen verschiedene Betroffene zu Wort, deren Statements sind hier nachzulesen.

Foto: PresseService Wien

Zurück zur Berufungsverhandlung: Besonders auffällig war bereits vor dem Beginn das hohe Aufgebot an Sicherheitskräften und die Abwesenheit einiger Journalist*innen. Im relativ kleinen und engen Verhandlungssaal nahmen die beiden Angeklagten in der ersten Reihe Platz, dahinter dann Prozessbeobachter*innen, Journalist*innen und auch Bini Guttmann, der live über seine Eindrücke berichtete und selbst als Feind auf ‚Judas Watch“ gelistet war.

https://twitter.com/Bini_Guttmann/status/1618161313804619782

Mit einem „Sers“ und Fistbump begrüßten sich die zwei Brüder kurz vor Prozessbeginn. Phlip H. sitzt seit seiner Festnahme im Jänner 2021 in Untersuchungshaft. Beide wurden auch diesmal vom Anwalt Martin Mahrer vertreten, der sich für Strafmilderungen aussprach. Philip H. hätte seine Musik unter anderem ins Darknet hochgeladen und hätte nicht davon ausgehen können, dass sich so viele seine Lieder herunterladen. Auch hätte er nicht zu Gewalt aufgerufen, was angesichts seiner gewaltverherrlichenden Liedtexte nicht sehr überzeugend wirkte. Auch betreffend Benjamin H. versuchte er die Taten und die Intention dahinter zu verharmlosen: ‚Judas Watch‘ wäre im Wesentlichen nur eine Linksammlung gewesen, auch die Polizei wäre zu Beginn, im Jahr 2016, von keiner besonderen Gefahr durch die Homepage ausgegangen. Auch ein Waffenverbot wurde erst relativ spät ausgesprochen. Mit einem vermeintlichen „Tag X“, an dem im Zuge eines Umsturzes auch politische Feinde ermordet werden sollten, hätte dies auch alles nichts zu tun.

Oberstaatsanwalt Florian Kranz entgegnete den Ausführungen des Verteidigers mit der berechtigten Frage, warum Philip H. denn seine Musik ins Internet gestellt habe, wenn er nicht wollte, dass diese gehört würde? Auch sein reumütiges Geständnis im März 2022 hält Kranz für unglaubwürdig, denn schließlich habe der Erstangeklagte auch nach seinem Schuldspruch noch Kontakt zu rechtsextremen Kreisen gehalten.

Anschließend hatte auch der Opfervertreter Clemens Lahner die Möglichkeit sich zu äußern. Er betonte den hohen Grad der Gefährlichkeit am Beispiel des Attentäters von Halle, der zwei Menschen ermordete und ganz bewusst einen Song von Philip H. dafür auswählte, während er seine Tat live streamte. Zu der von Benjamin H. veröffentlichten Feindesliste zog er den Vergleich zu ähnlichen, bei Razzien in Deutschland sichergestellten Listen, von Rechtsterroristen, die sich sehr wohl auf einen bewaffneten Umsturz vorbereiten. Es brauche ein deutliches Signal gegen die Angeklagten und ihre Taten.

Daraufhin kam auch der Senatsvorsitzende auf die Kontakte von Philip H. zu sprechen und erkundigte sich nach einem während seiner Untersuchungshaft beantragten Videotelefonat mit einer bekannten US-Neonazi-Aktivistin , der Antrag wurde aber letztendlich abgelehnt. Das Gespräch war bereits online ankündigt worden. Kleinlaut entgegnete er nur, ihm hätten viele Leute aus Solidarität geschrieben, er hätte ja nicht wissen können wer die sind. Mit der besagten Frau hätte sich eine Brieffreundschaft entwickelt. Die Tragweite war ihm nicht bewusst, was angesichts der 10-jährigen Verurteilung wegen vielfacher NS-Wiederbetätigung vom Erstgericht nur schwer nachzuvollziehen ist.

„Diese Strafen sind nicht zu korrigieren“

Nach weniger als einer viertel Stunde Beratung verkündete der Richter*innensenat die Entscheidung: Der Strafberufung wurde nicht stattgegeben und dies bestätigte damit das Urteil des Erstgerichts auch in diesem Punkt. Die Begründung fiel auffällig ausführlich aus. Der zweite Strafsatz des § 3g Verbotsgesetz, mit einer Strafhöhe von bis zu 20 Jahren, ist anzuwenden, wenn entweder die Wiederbetätigung an sich oder der Täter als solcher als besonders gefährlich gilt. Für Phlip H. trifft beides zu.

Seine neonazistischen, antisemitischen und rassistischen Songs wurden mehrere hunderttausend Male heruntergeladen und bildeten „den ideologischen Hintergrund und die Unterstützung für viele, die nationalsozialistisches Gedankengut verbreiten wollen.“ Sehr fatal zeigte sich dies am 9. Oktober 2019 in Halle, als ein Rechtsterrorist Jana L. und Kevin S. erschoss, nachdem es ihm nicht gelungen war in eine Synagoge einzudringen. Seine Tat streamte er live, unterlegt unter anderem mit einem Lied des Erstangeklagten. Wenige Tage nach dem Attentat in Halle recherchierte er im Internet, wie man mittels 3D-Drucker selbst Waffen herstellen kann.

Unmittelbar nachdem am 15. März 2019 beim Terroranschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch ein Rechtsterrorist 51 Personen getötet und weitere 50 verletzt hatte, postete Philip H. im Internet „I love this guy“ und übersetze in wenigen Tagen das 100-seitige Manifest des Täters ins Deutsche und stellte es online. Die Reue von Philip H. sei überschaubar gewesen, das zeigte vor allem der Kontakt zur bekannten Rechtsextremen aus den USA. Benjamin H. hingegen hätte nie Reue gezeigt, hieß es weiter in der Begründung. Beide verweigerten im Ermittlungsverfahren die Aussagen, und beantworten nach ihren vorbereiteten Einlassungen im Landesgericht keine weiteren Fragen und leisteten somit keinen besonderen Beitrag zur Wahrheitsfindung.

Auch die Begründung gegen die Strafberufung von Benjamin H. fiel deutlich aus: Die von ihm veröffentlichten Daten auf ‚Judas Watch‘ führten dazu, dass die Opfer „weiter auffindbar wären“, man müsse auch ihre Situation verstehen. Was das mit Menschen macht, die sich „plötzlich auf einer Liste von rechtsradikalen und nationalsozialistischen Personen befunden“ haben, gekennzeichnet als Feind*innen. Sie hätten sich zu Recht gefürchtetet und konnten nicht wussten “wie nah das jetzt an einer weiteren Tatausführung liegt.“ Mit den Worten „Diese Strafen sind nicht zu korrigieren, sondern sind schuld- und tatangemessen,“ beendete der Senatsvorsitzende die Verhandlung.

Fehlende Aufklärung und Unterstützung Betroffener

Auch wenn die beiden Brüder zu vergleichsweise hohen Haftstrafen verurteilt wurden und das OLG endlich anerkannte, welche Auswirkungen die veröffentlichte antisemitische Feindesliste für die Betroffenen hatte – es kommt zu spät. Zu viele Versäumnisse gab es im Umgang mit den Betroffenen, zu wenig Unterstützung und zu wenig Öffentlichkeit für ihre Perspektiven. Offen bleiben Fragen nach weiteren Unterstützer*innen und Aktivitäten der Verurteilten. So berichtete derStandard von Versuchen durch ‚Mr. Bond’ im Forum der US-Neonazi-Website „Daily Stormer“, schon im Jahr 2017 ein Treffen von „Stormers“ in Wien zu organisieren und zwar gemeinsam mit dem Betreiber von ‚Judas Watch‘: „Tatsächlich stattgefunden haben, seinen eigenen Angaben zufolge, immerhin mehrere Treffen Mr. Bonds mit den rechtsextremen Aktivisten der Identitären Bewegung‘.“ Ob es diese Treffen wirklich gab, war kein Thema in der gerichtlichen Auseinandersetzung, viel mehr war man darauf bedacht, ihre Taten als reine „Internetphänomene“ zu behandeln.

Warum war der Ermittlungsdruck gegen ‚Mr. Bond‘ erst nach dem antisemitischen und rassistischen Terroranschlag in Halle groß genug? Warum gelang es erst durch die Beschlagnahmung der Datenträger und des E-Mailverkehrs des Bruders, Benjamin H. auszuforschen? Warum nahm man die Betroffenen und eine mögliche Gefährdung durch ‚Judas Watch‘ nicht ernster?

    „Das antisemitische ‚Judaswatch‘-Portal trug jahrelang zur antisemitischen und antilinken Bedrohungslage bei. Es hatte eine hohen Bekanntheitsgrad erreicht und wurde von der extremen Rechten immer wieder aufgegriffen. Dass die Seite jahrelang nicht aus dem www verbannt wurde, stand für uns Betroffene auch mehr als nur symbolhaft für das Desinteresse der Behörden, gegen die Bedrohung von rechts ernsthaft vorzugehen.“

Robert Andreasch, Journalist

Es braucht mehr gesamtgesellschaftlichen Druck und Solidarität mit Betroffenen rechter, antisemitischer und rassistischer Gewalt – nur gemeinsam können wir dafür sorgen, dass Betroffene nicht mehr allein gelassen werden und ihre Forderungen in die Öffentlichkeit bringen!

    „Ich erwarte mir von den Behörden, dass sie Wiederbetätigung und Hassverbrechen ernst nehmen. Und ich würde mir von den Behörden auch erwarten, dass sie Opfer dieser Verbrechen über so wichtige Ermittlungsergebnisse informieren. Es ist eigentlich unfassbar, wie allein gelassen ich und andere Kolleg:innen in der Medienbranche hier wurden.“

Colette Schmidt, Journalistin

    “Ein weiteres Mal versäumen es Staat und Justiz, Opfer rechtsextremer Gewalt angemessen zu schützen und zu entschädigen. Dass Betreiber neonazistischer Webseiten nach jahrelanger Verbreitung antisemitischer ‘Judenlisten’ nur durch Zufall enttarnt werden können, ist eine Schande. Es zeigt sich wieder einmal eindeutig, dass der österreichische Staat nicht dazu in der Lage ist, Jüdinnen und Juden angemessen zu schützen. Wir rufen dazu auf, endlich Entschlossenheit im Kampf gegen rechtsextreme Gewalt zu zeigen.”

Victoria Borochov, Präsidentin der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH)

Was ist Prozess Report?

Wir sind ein Kollektiv aus Medienaktivist*innen und Journalist*innen in Wien und haben uns zur Aufgabe gemacht, beobachtete Prozesse übersichtlich und in ihrer Komplexität nachvollziehbarer aufzubereiten.

Die Plattform ist ein Versuch, ausgewählte Prozesse zusammenzuführen und die breite Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, dass diese keine Einzelfälle sind.

Denn während Einzelpersonen mittels umstrittener Paragraphen angeklagt werden, betrifft die Kriminalisierung gesamte soziale Gruppen bzw. politischen Protest.