Chronologie aller Ticker-Einträge vom 43. und letzten Verhandlungstag im Fluchthilfeprozess vom 04.12.2014:

Guten Morgen aus dem Großen Schwurgerichtssaal in Wiener Neustadt, heute werden die Schlussplädoyers gehalten, anschließend wird mit der Urteilsverkündung gerechnet. (mz, kw, bp)

December 4, 2014 – 08:59

Der Publikumsbereich im Verhandlungstag ist heute voll besetzt, viele solidarische Menschen (teilweise mit Schildern) sind gekommen. Die Vorsitzende kündigte an, dass der heutige 43. Prozesstag verspätete beginnt. (mz)

December 4, 2014 – 09:09

Die Vorsitzende verkündet gerade, dass die Verhandlung erst in einer Stunde beginnt, da zwei der Angeklagten noch nicht im Landesgericht sind. (mz)

December 4, 2014 – 09:16

In Kürze beginnt der vermutlich letzte Prozesstag. Wann mit einem Urteil zu rechnen ist, ist schwer einzuschätzen. Für heute stehen 8 Abschlussplädoyers auf dem Programm, inklusive die Chance der Angeklagten sich noch einmal zu den Vorwürfen zu äußern. Anschließend wird sich der Schöff*innensenat zur Beratung zurückziehen und über die mehr als 70 angeklagten Fakten entscheiden. Der Strafrahmen bei einer Verteilung nach §114 FPG (Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung) liegt zwischen 1 und 10 Jahren. Am letzten Verhandlungstag wurde die Anklageschrift außerdem für zwei Beschuldigte ausgedehnt. Dazu später bei den Plädoyers mehr. (mz)

December 4, 2014 – 09:56

Auch Staatsanwältin Gunda Fellerer-Ebhart rechnet heute mit dem Ende des Prozesses. Langsam füllt sich der Schwurgerichtssaal wieder, die Verhandlung soll um 10:15 beginnen. (mz)

December 4, 2014 – 10:08

Die Verhandlung beginnt nun um 10.24 Uhr. (kw)

December 4, 2014 – 10:27

Richterin: “Der Achtangeklagte weist eine Vorstrafe auf, von Nov. 2011, und wurde diesbezüglich verurteilt. Er steht im Verdacht innerhalb der Probezeit straffällig geworden zu sein. Er hat die Möglichkeit sich dazu zu äußern.” Verteidiger des Achtangeklagten: “Von Wiederruf bitte abzusehen, im Falle einer Verurteilung.” Der Achtangeklagte schließt sich an. (kw)

December 4, 2014 – 10:30

STAATSANWÄLTIN

StA steht auf, führ das Abschlussplädoyer aus: “Verfahren hat in eindrucksvoller Weise gezeigt, wie wichtig Unmittelbarkeit ist. Zu Beginn waren Zweifel an der Verschriftlichung der TÜ-Protokolle. Das Hauptverfahren hat sehr lange gedauert. Dafür stehen keine Fragen mehr offen. Durch Überprüfung der Übersetzungen konnten die Zweifel an den TÜ-Protokollen ausgeräumt werden. Nur einige Unschärfen bleiben noch. Würdigen sie bitte die in der Hauptverhandlung vorgenommenen Übersetzungen. Dass wenn “Schleppungswillige” übersetzt wurde, “Leute” gemeint waren. Davon geht auch die StA aus. Ein großteil des Bedeutungsinhaltes hat aber nur am Rande eine Interpretation erforderlich gemacht,Auf die von der Verteidigung geforderten Überprüfungen der Übersetzungen wurde eingegangen. §114 FPG kriminalisiert die rechtswidrige Einreise- oder Durchreise (…, zitiert Paragraphen, Anm.). StA wirft vor: Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung. Beweisverfahren hat das ergeben. Es waren immer mehr als 2 Personen beteiligt. Mit entgeltlicher Hilfe wurde vor allem durch Erstangeklagten und Fünftangeklagten Schlepperei begangen. Für kriminelle Vereinigung ist ein Zusammenschluss von mehr als zwei Personen notwendig, es obliegt nicht StA eine Definition rechtspolitisch zu bewerten. Angeklagte haben sich “Zubrot” verdient. (kw & bp)

December 4, 2014 – 10:51

StA weiter: “Ich bitte sie die aufgebrachte Stimmung im Hinterkopf zu behalten, wie z.B. von den “Küken die geschlachtet werden sollen” die rede war. Lieber Schöff*innensenat: Ihre Aufgabe ist es über Schuld oder Unschuld zu entscheiden, machen sie es sich nicht leicht. Vielzahl von Fakten wurden angehört. Ich fasse mich mit Aussagen zu allen angeklagten Punkten kurz, da noch Verteidiger*innen dran kommen” (kw & bp)

December 4, 2014 – 10:54

StA zu den acht Angeklagten: “Erstangeklagter: zeigte sich teilgeständig, entgeltlich – weil auch gegen Haschisch- geholfen zu haben. Zweitangeklagter: Beweiswürdigung des Schöff*innensenates überlassen, ob er der “Inder mit Schnurrbart” ist – offenbar einziger Inder in der Gruppe. Wurde von Erstangeklagten belastend, plus Aussagen von Polizist*nnen, wie der Fund rechtswidriger Asylkarte in seinem Schuh. Drittangeklagter: Nicht geständig, zugestanden für Hilfsdienste Haschisch bekommen zu haben. Viertangeklagter: Sie hatten die Möglichkeit, sich ein Bild zu machen. Wurde durch Mitangeklagte entlastet- wird entsprechend zu würdigen sein, auch hinsichtlich Belastung durch Faktum VV in der Anklageschrift. (kw & bp)

December 4, 2014 – 11:03

StA: “Fünftangeklagter: Gleich zu Beginn des Verfahrens zu 21 Schleppungen geständig. Gegenstand der Hauptverhandlung war es herauszuarbeiten, welche Schleppungen/Fakten gemeint sind. War geständig für Hilfsleistungen zwischen 10 und 100 € erhalten zu haben. In Telefonaten war von Höherem die Rede. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass es mehr ist. Es handelt sich um eine Schutzbehauptung des Fünftangeklagten, wenn er behauptet “es sei nur geredet und angegeben worden”. Sechstangeklagter: Hat sich geständig verantwortet und Mitangeklagte belastet, wird im Sinne der Anklageschrift belastet. Siebtangeklagter: Verweise illustrativ auf Telefonüberwachungs-Mitschnitte und deren Übersetzung. Die Mitwirkung ergibt sich daraus. Die unterstützende Tätigkeit, die Versorgung der Personen an sich, hat 7 auch zugestanden. 8: Verweise auch auf TÜ-protokolle und auf Zeug*innenaussage, dass vermehrt hausfremde Personen bei ihm und dem Fünftangeklagten übernachtet haben. Auch entgeltlich – ergibt sich aus Auseinandersetzung zwischen Acht- und Fünftangeklagten.” (kw & bp)

StA hält sich kurz und beendet mit: “Es ist nicht unüblich, dass auch einzelne entlastende Punkte fallen, das ist besonders wichtig und dazu dient die Beweisführung. Unüblich war die umfangreiche Beweiswiederholung in der Hauptverhandlung. Angeklagte waren teil einer Internationalen vernetzten Einheit. Auch ein großes Gefüge funktioniert nur dann, wenn auch das kleinste Zahnrad funktioniert. Das wusste sie auch, da sie selber von Schleppern unterstützt eingereist sind. Fünftangeklagter sagte, “war kein großes Business”, für manche wirklich nicht, aber alle Punkte (§114FPG, Anm.) sind für StA erfüllt. Es ist nicht die Aufgabe von StA ein Gesetz politisch zu hinterfragen. StA und Richterin haben geltendes Recht anzuwenden. Auch in diesem Verfahren. STA ist zur Objektivität verpflichtet, hat anzuklagen, was das Gesetz unter Strafe setzt. Die teilweisen Geständnisse sind zu würdigen.” (kw & bp)

December 4, 2014 – 11:06

Verteidiger BINDER

Verteidiger Binder ist mit seinem Schlussplädoyer an der Reihe. Binder: “Ich werde versuchen den Paragraph 114FPG dem Verhalten der Angeklagten gegnüberzustellen unn ich kann schon vorweg sagen: meiner Ansicht nach sind sie keine Schlepper, und zwar so eindeutig, dass sich die Frage ergibt: weshalb waren so lange in Untersuchungshaft, warum gab es so ein aufwendigees Verfahren?” (bp)

December 4, 2014 – 11:23

Der Paragraph soll illegale Einwanderung verhindern, nicht Flüchtlingen ihr Leben noch schwerer machen, als es schon ist. Ein ‘Schlepper’ ist ein Unternehmer der einer Dienstleistung nachgeht, Fremde ein- und durchreisen zu lassen, macht dies wie es ein Unternehmer tut. Das ist bei den Angeklagten ganz anders, soziologisch gesehen sind sie eine Schicksalsgemeinschaft, die unter Druck eine erfolgreiche Flucht zu organsieren, darauf angewiesen sind sich wechselseitig zu helfen. Das passiert sicher nicht uneigennützig, aber nicht entgeltlich.” (bp)

December 4, 2014 – 11:23

Im Paragraphen besteht eine Wechselbeziehung zwischen ‘Helfen’ und ‘Hilfe annehmen’. Es ist nicht so, dass Person A Person B hilft und umgekehrt, vielmehr hilft A B, B dann C, und so weiter. Wenn eine Mutter ihrem Kind hilft und dieses dann der Mutter beim Tischdecken unterstützt, würde auch niemand den unterschiedlichen Wert der Hilfeleistung in Frage stellen.” (bp)

December 4, 2014 – 11:23

Ich möchte zwei Aspekte weiter herausarbeiten, Erstens ist der Paragraph strukturell und inhaltlich nicht anwendbar, da kein Geld geflossen ist. Hasch rauchen oder Trinken ist bloß der gesellschaftliche Kick der das Zusammenleben fördert. Zweitens liegt hier keine kriminelle Vereinigung vor, es zeigt sich keine dauerhafte Struktur. Die Angeklagten haben einander wechselseitig geholfen, ohne Vereinsstruktur oder Ähnliches zu entwickeln.” (bp)

December 4, 2014 – 11:23

Ja, man müsste anders urteilen, wenn tatsächlich die Angeklagten Teil eines internationalen Schlepperrings gewesen wären. Aus dem Beweisverfahren ist in diese Richtung allerdings nicht das Geringste herausgekommen. Das “internationale” ist im Verfahren sehr schnell von der Bildfläche verschwunden, damit hat sich schon die ganze Anklage erledigt. Der Todesstoß waren dann noch die falschen Übersetzungen.” (bp)

December 4, 2014 – 11:24

Anders beurteilbar wäre die Lage, wenn nicht §114FPG, sondern ein paar Paragraphen weiter §120 über ‘Unentgeltliche Fluchthilfe’ behandelt worden wäre, dieser ist jedoch nur Verwaltungsstrafrecht mit sehr geringer Strafe. Bevor ich den Freispruch beantragen will, sollten wir aber noch überlegen, wie das Verfahren zustande gekommen ist. Das war deswegen, weil eine Protestbewegung eingesetzt hat. Vor ungefähr 2 Jahren sind zahlreiche Flüchtlinge aus Traiskirchen zum Votivpark gezogen. Ich bin kein Experte zu diesem Protest, möchte aber einige Punkte herausgreifen:” (bp)

December 4, 2014 – 11:24

Zwei Aspekte möchte ich betonen: Einerseits war es schön zu beobachten, wie der Funke der Solidarität übergeschlagen ist auf Unterstützerinnen, auf Österreicher*innen. Andererseits ist der Protest auch eine Geschichte der Bösartigkeit der Behörden. Um ein paar Beispiele zu nennen: Manche der Flüchtlinge wollten nach dem Marsch nach Traiskirchen zurück, dies wurde ihnen verboten, dabei hatten sie Unterlagen noch in Traiskirchen. Das Asylverfahren ist in weiterer Fogle vielfach negativ ausgefallen wegen Fristversäumnissen, da die Flüchtlinge nicht zu ihren Dokumenten kamen und Bescheide falsch zugestellt wurden, obwohl die Behörden wussten, dass sie im Votivpark sind.” (bp)

December 4, 2014 – 11:24

Unterstützer*innen haben weiters Zelte und Schlafsäcke zur Verfügung gestellt, die illegal geräumt wurden. Das kann ich so sagen, da das aufgrund der Campingverordung passiert ist. Dieses Vorgehen wurde bekämpft, die Bescheide sind allerdings noch immer nicht bestätigt. Weiters waren die Refugees in der Votivkirche mehr oder weniger eingesperrt, eine Übersiedlung ins Servitenkloster war geplant, mit dem Zugeständnis, dass sie dort von den Behörden in Ruhe gelassen würden. Sie sind dann auch umgezogen, jedoch wurden in weiterer Folge 8 Flüchtlinge festgenommen und deportiert, nachdem der damalige Vizekanzler Spindelegger selbst in Pakistan die Einreisezeritifiakte gekauft hatte.” (bp)

December 4, 2014 – 11:24

Die damalige Innenministerin, die übrigens auch heute noch dieses Amt inne hat, hatte indes offenbar das Gefühl, sie musste die gesamte Bewegung kriminalisieren, es waren Wahlen absehbar und die Parteien hatten Ehrgeiz sich zu profilieren, wer denn die bösartigste und fremdenfeindlichste Partei sei. Die Angeklagten wurden eingeschlossen, das ist der Grund. Dieses Verfahren war nie ein Schlepperverfahren sondern ein politisches Verfahren. Die Innenministerin hat Polizei und Justiz eingesetzt um politische und private Interessen zu verfolgen. Es wäre möglich gewesen das Verfahren zu einem Ende zu bringen, durch das Oberlandesgericht und die Polizei. Das einzige jetzt noch mögliche anständige Ende liegt nun nur bei einem Freispruch.” (bp)

December 4, 2014 – 11:24

Verteidigerin LEHNER

Nun beginnt die Verteidigerin des Zweitangeklagten, Michaela Lehner, mit ihrem Abschlussplädoyer: „Es war kein Zufall, dass innerhalb von 2 Tagen 8 Personen der Wiener Flüchtlingsbewegung nach Pakistan abgeschoben wurden.“ Sie stellt den Zusammenhang zu den zum gleichen Zeitpunkt festgenommen und hier angeklagten 8 Personen dar. Auch ihr Mandant wurde damals für 8 Monate in Untersuchungshaft genommen. Sie geht davon aus, dass die monatelangen, hartnäckigen Demonstrationen und das Aufzeigen von Problemen in österreichischen Asylsystem, dem Innenministerium schnell lästig wurde und vergleicht dies mit dem Tierschutzprozess. (mz)

December 4, 2014 – 11:27

Die Ermittlungen seien laut Lehner vom „Innenministerium legitimiert und wahllos hochgespielt“ wurden. „Übrig blieb eine zahnlose Anklageschrift“, die auf TÜ-Protokolle und teilweise falsche Übersetzungen beruht. Außerdem weist die auf die modifizierte Anklageschrift hin: „sie hätte eigentlich zurückgezogen werden sollen.“ Sie kritisiert fehlende Ausforschungen während der Ermittlungen, es fehlen u.a. die nötigen Beweise für die rechtswidrige Ein- oder Durchreise. „Dieser Prozess stellt eine Fortführung der Kriminalisierung einer Protestbewegung dar. Die Länge dieses Prozesses ist an sich schon eine Strafe für die Angeklagten, sie zermürbt.“ Sie geht erneut auf die „schlampige und fehlerhafte Ermittlungsverfahren“ ein: „alle Fehler und Ungereimtheiten mussten erst durch mühsamste Kleinarbeiten der Verteidigung aufgedeckt werden.“ (mz)

December 4, 2014 – 11:30

Als nächstes geht sie auf die Arbeitsweise bei den Übersetzungen der überwachten Telefongespräche ein: „wenn es bei einem Wort mehrere Übersetzungsmöglichkeiten gab, entschieden die Polizeibeamten welche gewählt wurde“ und nahmen somit direkten Einfluss auf die getätigten Übersetzungen. Auch die Aussagen der Polizeibeamten vor Gericht, kritisiert die Verteidigerin, niemand zeigte sich zuständig für Entscheidungen im Ermittlungsverfahren, es wurde immer wieder aufeinander verwiesen, „keiner wollte verantwortlich sein.“ (mz)

December 4, 2014 – 11:31

Auch der vermeintliche Schlepperboss, Bobby Shah wird von ihr erwähnt. Er sei noch immer zur Fahndung ausgeschrieben, wurde bereits 2Mal festgehalten und sein Telefon soll seit März 2013 überwacht wurden sein. „Interessant für die angebliche kriminelle Vereinigung sei auch, dass Bezirksinspektor Kranz aussagte das die Oberservationen von Bobby Shah gar keinen Zusammenhang mit den hier Angeklagten ergab.“ Der Zweitangeklagte wurde telefonisch gar nicht überwacht, trotzdem stützt sich seine Anklagepunkte auch auf Telefonüberwachungsprotokolle. (mz)

December 4, 2014 – 11:33

Sie merkt weiter an, dass ihr Mandant „der einzige Inder hier“ sei, ihm wurden Telefonprotokolle als schleppungsrelevant zugeordnet, indem sich andere Personen über einen Inder unterhielten. „Mein Mandant wurde in den Telefonüberwachungsprotokollen nie erwähnt“, man war sich über die Zuordnungen nicht sicher, die Ermittler*innen schrieben zB in Protokollen, dass es sich „vermutlich“ um ihren Mandaten handelte. (mz)

December 4, 2014 – 11:35

Ich frage mich hier warum die hier entlastenden Beweise nicht gewürdigt wurden, es wurde gegen einen Inder mit Schnurrbart hier nicht ermittelt“ Sie beantragt einen Freispruch für alle schlepperrelavanten Anklagepunkte, es konnte ihm kein Vermögenserwerb nachgewiesen werden, so Lehner. Nun geht sie jeden einzelnen angelasteten Anklagepunkt durch und entkräftet durch Erkenntnisse des Ermittlungsverfahrens. So hätte er zB 2 Verwandten des Siebtangeklagten, die selber kein Geld hatten, bereits seit 2 Jahren in Österreich waren und Ausreisebescheide besaßen. Er zeigte also Personen die ausreisen mussten, den Weg. Außerdem habe er zugebenen, einer weiteren Person, die im Servitenkloster lebte und kein Deutsch konnte, geholfen zu haben indem er für sie bei einer Mitfahrgelegenheit angerufen hat, weil er besser Deutsch kannte. Auch diese Person hatte einen negativen Asylbescheid und musste ausreisen. (mz) December 4, 2014 – 11:40

Bezüglich der vorgeworfenen Körperverletzung hat sich ihr Mandant bereits geständig gezeigt und mehrfach entschuldigt. Verteidigerin Lehnet bittet die lange U-Haft zu berücksichtigen. „Hohes Gericht, das Beweisverfahren hat nicht ergeben dass der Zweitangeklagte irgendeinen finanziellen Vorteil erwirtschaftet hat, der eine gewerbliche Schlepperei“ zur Grundlage hat. „Gegen meinen Mandanten lagen auch keine Observationen vor, er hat 2-3 Mal Telefonate geführt um Mitfahrgelegehnheiten nach Deutschland zu organisieren, denn er konnte sehr gut Deutsch. Für Personen die sogenannte Country Outletters hatten, also das Land verlassen mussten.” (mz) December 4, 2014 – 11:42

Verteidigerin Lehner weiter: „Sie werden heute ein Urteil fällen und damit Recht sprechen bezüglichch der Anwendung des §114,Österreich macht seine Grenzen dicht und das mit Hilfe des Strafrechts“. Dies ist das „Ergebnis eines fremdenfeindlichen Gesetzes“. (mz) December 4, 2014 – 11:44

Verteidiger ANGELER

Verteidiger Angeler, Abschlussplädoyer: Viertangeklagter ist unbescholtener, gläubiger Mann, selbst geflüchtet aus Pakistan, hat dafür Haus verkauft. In Wiener Moschee ist er ein Vorbild – das ist ihm nun zur Last geworden: er hat einen pakistanischen Wiener Geschäftsmann angezeigt, der pakistanische Asylwerber*innen ausbeutet hat. (Geldwäsche, Eröffnung zahlreicher Konten auf Namen von Asylwerber*innen. Der Viertangeklagte wurde nach der Erbrachten Anzeige von diesem Geschäftsmann mit den Leben bedroht und fühlte sich aus Selbstschutz gezwungen Österreich zu verlassen. Hier fingen die Ermittlungen gegen ihn an. Anm. kw)

December 4, 2014 – 12:10

Verteidiger Angeler weiter: “Der Leiter der SOKO Süd, Korner, der Ermittlungen koordiniert hat, hatte de facto keine Ahnung vom Akt der meinen Mandanten belastet. Er gab an, nicht sämtliche Abschlussberichte gesehen zu haben. Zur Dokumentationsarbeit der Polizei: es gibt keine Amtsvermerke zur polizeilichen Zusammenarbeit mit ausländischen Ermittler*innen – trotz der Anklage der internationalen Schlepperorganisation. Zugtickets, Kosten der Unterbringung, Essen – darüber haben sich Ermittelnden überhaupt keine Gedanken gemacht (Aufwandsentschädigung, Anm. kw).

December 4, 2014 – 12:11

Angeler: “Kollegin Lehner ist schon darauf eingegangen: Es kam zu keiner Festnahme des vermeintlichen Schlepperbosses. Dieser war am Presentierteller im Gefängnis, ermittelnden Beamt*innen haben ihn darüber wissend aber nicht festgenommen. Wieso? Polizei gab in der HV verschiedene Varianten von Gründen an: Hungerstreik des vermeintlichen Schlepperbossen, Warten bis Zugriff auf Hintermänner, … Am Ende war es eine “Kollegialentscheidung” von Beamt*innen, gaben diese an: Kopf ließ man laufen, kleine Fische werden verhaftet.” (kw) December 4, 2014 – 12:13

Angeler: “Dauer der Telefongespräche im Vergleich mit der Länge der Telefonate zeigt große Fehler: Beamt*innen hätten sehen müssen, dass Übersetzungen so nicht stimmen können, nicht wortwörtlich sind, wenn minutenlange Gespräche auf nur halber Seite zusammengefasst wurden. Eigenartige Qualitätskontrollen. Wörter falsch übersetzt und übernommen – davon konnte sich Senat bereits umfassendes Bild in HV machen- so wurde “abholen” zu “bringen”, “Leute” zu “Schleppungswilligen”. Kein gutes Bild von Polizei. Bedauerlich ist, dass StA die Polizeifakten einfach übernimmt und nicht reflektiert. Erst in HV musste ausgesiebt und gesucht werden, ob und wo den Angeklagten Schlepperei im Sinne des §114FPG zur Last gelegt werden soll/kann. In diesem Zusammenhang muss man das ernste Bemühen des Senates, sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen, hervorheben.” (kw)

December 4, 2014 – 12:17

Angeler: “Kontakt zum vermeintlichen Schlepperboss heißt es in dem Anklagepunkt – doch da ging es um seine eigene Ausreise. Der Viertangeklagte kennt den Fünftangeklagten- der vermeintliche Schlepperboss wohnte im Nachbarbezirk des Dorfes des Fünftangeklagten in Pakistan – dass sie sich kennen ist nicht ganz verwunderlich. Mein Mandant hatte sonst nur Kontakt mit dem Siebtangeklagten, dieser hat auch geschildert warum: Im Sommer 2013 hatte der Viertangeklagte keine Wohnung und hatte angefragt, ob der Siebtangeklagte nicht behilflich sein konnte, ob er nicht auch im Servitenkloster schlafen könne.” (kw) December 4, 2014 – 12:20

Angeler: “Die Mitarbeit in einer kriminellen Organisation, wenn so eine überhaupt vorliegen sollte, ist für mich schleierhaft. Welchen Teil soll der Viertangeklagte, mein Mandant, denn gemacht haben? Das ist absurd. Laut Polizei, so der Vorwurf, hätte er die Organisation von Mitfahrgelegenheiten übers Internet gemacht. Eigenartig ist nur, dass er andere Leute bemühen musste, um die eigene Mitfahrgelegenheit zu organisieren. Von einer Organisation für andere kann nicht die Rede sein. Auch der Vorwurf der Entgelte ist geradezu absurd. Er kommt nie im Verfahren vor, bei Geldtransfers via Western Union oder Hawala. Es befinden sich keinerlei Anhaltspunkte im Beweisverfahren. Viertangeklagter wurde wegen seines Vornamens belastet, obwohl unklar ist, ob er überhaupt gemeint wurde. Viele Personen haben diesen Namen. Es gibt Millionen Menschen mit seinem Namen, ähnlich wie z.B. der Familienname Mayer in Österreich. (kw)

December 4, 2014 – 12:22

Angeler: “Darlegungen der Polizei in der Hauptverhandlung, warum der Viertangeklagte einbezogen sein soll, war: “Er muss Teil gewesen sin. Was er gemacht hat, ist allerdings nicht ersichtlich aus den Telefonaten.” Zusammenfassend also: Polizei meinte, er habe telefoniert, daher sei er schuldig. Selbst Aktführer muss bestätigen, dass es gar keine Punkte gibt, die den Viertangeklagten belasten.” (kw)

December 4, 2014 – 12:23

Angeler: Der Viertangeklagte soll z.B. “Illegale gebunkert” haben. Dieser sagte am Telefon lediglich einmal “X ist auch hier.” – von Polizei wurde angenommen, dass X bei ihm “gebunkert wurde”. Auch der zuständige Bezirksinspektor musste zugestehen in der HV (Hauptverhandlung, Anm.), dass keine belastenden Fakten gegen meinen Mandanten vorliegen. Laut Polizei habe er eine Person / “Schleppungswilligen zwischengebunkert” – Ja, tatsächlich, ein Mal hat er einem Freund, dem kleinerem Bruder eines Freundes aus der Heimat, mit dem er gemeinsam nach Österreich gekommen ist, geholfen: 3-4 Nächte übernachten lassen – unentgeltlich. Mit seiner Ein- oder Weiterreise hatte mein Mandant aber gar nichts zu tun, da die schließlich Reise dieser Person nach Deutschland von dessen Familienmitgliedern unterstützt und organisiert wurde.” (kw)

December 4, 2014 – 12:26

Angeler: “Bezirksinspektor Unger hat eindeutig ausgesagt: `Aus den Indizien kann man auf keine entsprechenden Schleppungen schließen, oder diese den angeklagten Fakten zuordnen.´ Ein Zeuge hat in der HV unmittelbar ausgesagt, dass eine angeklagte Person im Zusammenhang mit einem Faktum, nicht der Viertangeklagte ist, auch wenn sie sich vielleicht etwas ähnlich sehen – ihn entlastet. Weiteres Faktum: Auch hier darauf zu verweisen, Anklagefaktum kommt aus den Indizien hervor, doch können daraus keine konkreten Schleppungshandlungen nachgewiesen werden – dies sagte auch der zuständige Bezirksinspektor in der HV aus. Die “Schleppungswillige” Person sei in diesem Punkt selbstständig ein- und weitergereist.” (kw)

December 4, 2014 – 12:27

Angeler: “Der nächste Punkt wurde bereits von der StA zurückgenommen. Auch hier kann aus den polizeilichen Indizien keine Schleppungshandlung nachgewiesen werden. Weiter: Die beabsichtligte eigene Weiterreise meines Mandanten, des Viertangeklagten, ist hier gemeint, nicht die “Zwischenbunkerung” einer anderen Person. Mein Mandant wollte flüchten, von dem von ihn belasteten und angezeigten Wiener Unternehmer. Die Polizei hat in dem Punkt ihn als Schlepper angeklagt, derweilen wollte er selbst selbstständig aus Österreich flüchten, was ihm gegen Ende nicht gelungen ist, aufgrund mangelnder finanzieller Mittel.” (kw)

December 4, 2014 – 12:28

Angeler: “Nächster Punkt ist auch völlig aus der Luft gegriffen. Jetzt aber zum signifikanten Anklagepunkt in diesem Verfahren, ist sehr verwunderlich, weil ich nicht verstehe, wieso dieses Faktum nach wie vor von der StA vorgeworfen wird. Weder in schriftlichen Beweisergebnissen, noch anderswo ist die Rede von meinem Mandanten – er kommt nirgendwo vor, außer in der Anklageschrift. Der Bezirksinspektor meinte: `Er wurde einbezogen, da er zu dem Zeitpunkt seine Eigenschleppung organisieren wollte.´Vorgeworfen wird ihm allerdings in dem Faktum, sich an der Schleppung von 30 Personen beteiligt zu haben. (kw)

December 4, 2014 – 12:30

Angeler: “Anderes Faktum: Ermittelnder Beamte musste sich zugestehen, dass es überhaupt nix gibt gegen den Viertangeklagten. Doch agierte so nach dem Prinzip: `Probieren würd man es doch wohl noch dürfen.´ Es ist nicht verständlich – es wäre Verpflichtung der StA gewesen, die Anklage in diesem Punkt zurück zu ziehen. Allerdings hat StA heute zugestanden, dass mein Mandant durch Mitangeklagte entlastet wurde. Generell: Suppe ist nicht nur zu dünn, die besteht einfach aus klarem Wasser.” (kw)

December 4, 2014 – 12:32

Angeler: “Reicht es aus Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein, nur weil es in der Anklageschrift steht, miteinander telefoniert wird? Verteidiger*innen haben ja auch telefonischen Kontakt mit vermeintlichen Täter*innen, die sie verteidigen – wären sie nicht auch anzuklagen? Verstehe nicht, weshalb auch noch jetzt diese Anklage gegen meinen Mandanten aufrecht erhalten wird. Es gibt den Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten. Hinsichtlich meines Mandanten gibt es keine belastenden Punkte, auf die sich die Anklage stützen könnte. Der Senat konnte sich in der Hauptverhandlung ein umfangreiches Bild durch die Vernahme der ermittelnden Beamt*innen, Dolmetscher*innen, Zeug*innen und Angeklagter machen… Ich vertraue dem hohen Senat, all dies zu würdigen. Mein Mandant ist zur Gänze freizusprechen!” (kw)

December 4, 2014 – 12:34

Mittagspause

Es ging weiter mit dem Abschlussplädoyer von Clemens Lahner, dem Verteidiger des Fünftangeklagten. Danach hat die Senatsvorsitzende eine Mittagspause bis 13.45Uhr angeordnet. Wir befinden uns mittlerweile in der Kantine und tragen nun das Abschlussplädoyer von Verteidiger Lahner nach. Zeitgleich findet vor dem Gerichtsgebäude Wiener Neustadt eine angemeldete solidarische Kundgebung statt. Es haben sich heute sehr viele Menschen zum letzten Verhandlungstag im #Fluchthilfeprozess begeben – der große Schwurgerichtssaal ist voll, Personen sitzen auch auf dem Boden. Ihr könnt hier unserem Live-Ticker folgen. Es gibt auch Tweets auf Twitter – auch von anderen anwesenden Personen – unter dem Hashtag Fluchthilfeprozess. (kw & mz & bp)

December 4, 2014 – 13:15

Verteidiger LAHNER

Magister Clemens Lahner beginnt mit dem Schlussplädoyer für seinen Mandanten, den Fünftangeklagten. Er schließt sich seinen Vorredner*innen an, diese haben schon viele wichtige Dinge angesprochen. Er kritisiert, dass die Polizei „alles was sich nur im entferntesten nach Schlepperei anhörte“, in die Anklageschrift eingefügt habe.“ In den allermeisten Punkten, so Lahner, ist nicht viel von vermeintlichen Schleppungen übrig geblieben. Auch er geht Punkt für Punkt durch. Bei mehreren, seinem Mandanten angelasteten Fakten beruhen zum Beispiel allein auf Telefonatmitschnitte, es kam dabei mehrmals falschen Zuordnung der aufgezeichneten Stimmen. Erst in der Hauptverhandlung konnte dies aufgeklärt werden. In diesen Fällen beantragt er Freispruch für seinen Mandanten. (mz)

December 4, 2014 – 13:23

Außerdem kritisiert Lahner, dass immer wieder die Rede von „noch auszuforschenden Personen“ ist, die weitergebracht wurden sein sollen. Bei so einer „ungenauen Anklageschrift“ sei es für seinen und die anderen Mandanten schwierig gewesen sich zu bestimmten Fakten schuldig oder nicht schuldig zu bekennen.Er führt mit einem weiteren Anklagepunkt fort, dort wird darüber gesprochen, dass eine Person in den Zug gesetzt werden sollte, ein Entgelt konnte jedoch, wie so oft nicht nachgewiesen werden. Sein Mandant hat sogar mehrfach selbst Geld ausgegeben um Freunden bei der Weiterreise zu helfen. (mz)

December 4, 2014 – 13:24

In einem weiteren Faktum soll es um zwei noch zu ausforschende Personen gehen, die „irgendwohin“ reisen wollten, auch Tickets sollen gekauft wurden sein. Das Geld, was in mehreren TÜ-Protokollen genannt wurde, soll für Ticket- und Kleidungskauf verwendet wurden sein. „Auch hier hat mein Mandant kein Geld bekommen, also keine Entgeltlichkeit, keine Schlepperei im Sinne des §114FPG.“ Er kritisiert, dass die in der Anklageschrift erwähnten auszuforschenden Personen bis heute nicht ausgeforscht wurden. (mz)

December 4, 2014 – 13:25

Für alle Mitfahrgelegenheiten kann man pauschal sagen „mein Mandant hat gesagt, das sind insbesondere Fälle in denen er Freunden geholfen hat, kein Geld bekommen hat. Es kann also keine Schlepperei nachgewiesen werden. In einem Punkt, bekennt sich sein Mandant schuldig. Er gab zu Geld bekommen zu haben, sein Verteidiger zitiert aus einem Protokoll: „einmal habe ich einen seiner Leute nach Deutschland geschickt“. Dafür hat der Fünftangeklagte 130 Euro erhalten, nachdem Ticketkauf blieben davon 27 Euro für ihn selbst übrig. Außerdem könnte es sich bei dieser Reisebewegung um einen illegalen Grenzüberschritt handeln. (mz)

December 4, 2014 – 13:26

In einem weiteren Anklagepunkt soll eine Person über Österreich weitergereist sein, „wohin steht nicht in der Anklage, da ist nicht mal eine Schleppung nachgewiesen, der ist dann von alleine weg verschwunden.“ Außerdem kritisiert Lahner, dass die Ermittlungen oft nicht herausstellten um wie viel Geld es sich gehandelt haben soll. “Da wird behauptet, er hätte etwas in unbekannter Höhe bekommen. Etwas in unbekannter Höhe ist genau gar nichts.“ Er betont, dass es nicht seine Aufgabe ist nachzuweisen ob sein Mandant Geld behalten habe oder die Hilfeleistungen unentgeltlich abliefen. „Dass mein Mandant dafür Geld bekam, ist nicht bekannt.“ (mz) December 4, 2014 – 13:27

Ein weiteres Faktum bezieht sich auf eine Person aus dem Sevitenkloster, die einen Ausreisebescheid besaß. Demnach handelt es sich auch hier um keine Schlepperei nach §114FPG. Verteidiger Lahner bemängelt außerdem, dass oftmals nur Vornamen von vermeintlich geschleppten Personen im Akt aufscheinen. „Das ist an sich schon so schwammig“, unbekannte und noch immer nicht ausgeforschte Personen sollen von irgendwoher, irgendwohin gereist sein. Ob es sich dabei um illegale Grenzüberschreitungen gehandelt hatte und ob Entgelt geflossen ist, ist oft nicht bekannt. „Wenn ich als Angeklagter nicht mal in der Lage bin diese Fragen (er meint, wer von wo, wohin reiste, Anm.) zu beantworten“, muss es zum Freispruch führen. (mz)

December 4, 2014 – 13:28

Außerdem sind Reisebewegung enthalten, die letztendlich gar nicht zustande gekommen sind, diese liegen „zu weit vor einer möglichen Tathandlung, um dabei von einem Versuch (der Schlepperei, Anm.) zu sprechen“ Des Weiteren bleibt nicht unerwähnt, dass die Anklageschrift aufgrund von Überschneidungen bzw. doppelt angeklagte Punkten modifiziert wurde, das waren ebenfalls Fehler im Ermittlungsverfahren die dann in der Anklageschrift übernommen wurden. „Das Verfahren dauert jetzt schon 9 Monate, seitdem wurde niemand ausgeforscht“, kritisiert Lahner erneut. (mz)

December 4, 2014 – 13:29

Er kommt zu einem weiteren Faktum: „da haben wir uns eine ganze Menge an Telefongesprächen angehört, es wird auch von Geld gesprochen“, aber es gab „keine Nachweise für Entgeltichkeit und organisierte Weiterreise.“ Er zitiert erneut seinen Mandanten: „wenn ich so vielen Leuten geholfen haben soll, warum hat mich die Polizei nie mit Leuten geschnappt?“ (mz)

December 4, 2014 – 13:30

Nun nimmt Verteidiger Lahner Stellung zu dem beim vorherigen Verhandlungstag, zugefügten Vorwurf der Anstiftung zur Falschaussage gegen seinen Mandanten. Es soll einen Streit zwischen ihm und dem Achtangeklagten gegeben haben, indessen Verlauf sein Mandant drei Personen am Telefon gesagt haben soll, sie sollen den Achtangeklagten bei der Polizei als Schlepper anzeigen. Er habe das aber nicht heimlich gesagt, sondern in einem Gespräch dass er selbst auf Lautsprecher gestellt habe. Der Achtangeklagte habe das Gespräch deshalb mitbekommen und die beiden hätten sich deshalb gestritten. Im Endeffekt ist der Achtangeklagte dann selbst mit den Personen zur Polizei gegangen, sie haben dort tatsächlich gegen ihn ausgesagt, dass sein Mandant aber den Vorsatz hatte, jemanden tatsächlich anzuschwärzen, ist laut Lahner „ein bisschen weit hergeholt“ (mz)

December 4, 2014 – 13:31

Sein Mandant habe 21 Personen geholfen, ein Teil davon erfolgte jedoch unentgeltlich. Nun geht Verteidiger Lahmer auf die 3 Tatbestandsmerkmale ein, die für eine Verurteilung nach §114FPG (Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung, wie hier angeklagt, Anm.) erfüllt sein müssen. Rechtswidrigkeit, Entgeltlichkeit und Erwerbsmäßigkeit.Nur wenn alle Tatbestandsmerkmale in einem Anklagepunkt tatsächlich vorliegen, sicher vorliegen, ohne einen vernünftigen Zweifel, kann man einen Menschen deshalb verurteilen. Wenn nur ein Merkmal fehlt, dann ist das keine Schlepperei, sondern gar nichts. Wenn ich jemanden helfe und sogar Geld dafür bekomme, aber diese Reisebewegung ist nicht rechtswidrig, dann reicht dies nicht für eine Verurteilung. Ob die hier vorgehaltenen grenzüberschreitenden Reisebewegungen überhaupt rechtswidrig waren, muss für jeden einzelnen Fall geprüft werden. „Das ist sehr mühsam, aber so ist das Leben.“
Wenn ein Mensch in einem Land in Europa einen Bescheid erhält, dass er in ein anderes Land fahren muss, und er tut das auch, dann ist das nicht rechtswidrig. Wenn ihm dabei jemand hilft, dann ist das keine Schlepperei. Selbst wenn er dafür Geld bekäme, so fasst Lahner den komplexen §114FPG zusammen. (mz)

December 4, 2014 – 13:32

Ein weiterer Punkt, der zu beachten gilt, ist die Frage „Hatten die Menschen von denen wir hier sprechen Ausreisepapiere?“ Verteidiger Lahner kritisiert, dass es im Falle solcher Reisebewegungen nicht um einen illegalen Grenzüberschritt handle und er selbst es im laufenden Verfahren war, der zB Inspektor Unger dazu befragte, doch dieser wusste diesbezüglich nichts.„Ich weiß es bis heute nicht, ich muss es auch nicht wissen, die Staatsanwaltschaft muss dies beweisen, aber sie weiß es auch bis heute nicht“, so Lahner weiter. Nun widmet sich der Verteidiger des Fünftangeklagten dem Grundsatz der Entgeltlichkeit. Bis auf sehr wenige Fälle, auf die er schon Bezug genommen habe, steht nicht fest, ob für die Hilfeleistung bei den Reisebewegungen Entgelt bezahlt wurde. Nach Beweisen dafür gefragt, dass Entgelt geflossen ist, gab die Polizei „Erfahrungsberichte“ an und zwar aus anderen Verfahren. Die Erfahrungswerte dieses Verfahren zeigen aber deutlich, dass man nicht mit Sicherheit sagen kann ob es grundsätzlich zu endzeitlichen Grenzüberschreitungen kommt oder nicht. Verteidiger Lahmer kritisiert außerdem die Ablehnung seiner beantragten Zeugin, die aufgrund ihrer „wissenschaftlichen Forschung“ zu diesem Thema vor Gericht aussagen sollte. (mz)

December 4, 2014 – 13:33

Zum Abschluss bleibt von Verteidiger Lahner nicht unerwähnt, dass die große Unsummen von denen das Innenministerium in der Presse sprach (angeblich hatte die kriminelle Vereinigung 30 Millionen Euro erwirtschaftet, Anm.) bereits durch die Polizeiaussagen hier widersprochen wurde, sie sprachen von “kleine Rädchen“ im Bezug auf die Angeklagten. Zum Schluss geht Verteidiger Lahmer nochmals auf den angewendeten §114FPG ein: Die Bestimmungen, von denen wir hier reden, dienen einzig und allein dem Schutz der Festung Europa.” Lahner setzt fort: “Dass Menschen, die vielleicht Schutz vor Verfolgung, Hunger und Not brauchen gar nicht erst die Chance bekommen sollen, hier einzureisen und um Schutz anzusuchen, das ist der Zweck dieser Bestimmungen.“ In den meisten der vorhin genannten Fälle beantrage er im Namen des Fünftangeklagten Freispruch. In den wenigen Fällen, in denen bei Hilfeleistungen tatsächlich ein paar Euro übrig blieben, bittet er um ein mildes Urteil. (mz)

December 4, 2014 – 13:35

Wir befinden uns wieder nach der Mittagspause im großen Schwurgesrichtsaal. Die Verhandlung wird fortgesetzt. (kw & bp & mz)

December 4, 2014 – 13:50

Verteidiger BISCHOF

Verteidiger Bischof hält nun sein Abschlussplädoyer. Bischof: “Angeklagte seien in einer kriminellen Vereinigung organisierte Schlepper. Brauchen Verteidiger*innen nicht auch bald Rechtsbestand wegen Verdachts der Schlepperei? Immerhin fördern sie auch illegale Ein- und Durchreise in dem sie hier sitzenden angeblichen Schlepper mit Rat und Tat zur Seite stehen, eine umfassende Rechtsberatung sind. Das Ganze machen sie obendrein engagiert und kämpferich. Eine besonders hohe kriminelle Energie des organisieriten Schlepperverbrechens also.” (bp)

December 4, 2014 – 13:59

Bischof weiter im Abschlussplädoyer im Namen des Sechstangeklagten: “Wenn ich für meine Person noch dazu daran denke, dass ich mir ein paar Mal von den Angeklagten im Buffet einen Kaffee aufdrängen ließ, angebotene Zigaretten nicht mit dem Ausdruck höchster Empörung schroff zurückwies sondern mit dem Genuss in Rauch aufgehen ließ und mir so Lebenshaltungskosten ersparte – also mich schamlos bereicherte – frage ich mich: Darf ich dieses Plädoyer überhaupt fortsetzen ohne Angst vor einer Strafverfolgung wegen Verdachts der Schlepperei zu haben? Sie denken sich jetzt vielleicht, woherder Bisch diese krausen Thesen nimmt? Hat er schlecht gegessen? Hat die Trafik seines Vertrauens zusperren müssen? Leidet er an Paranoia? Nichts von alle dem. Betrachten wir Fakten, Fakten in Österreich.” (bp)

December 4, 2014 – 13:59

Bischof weiter: “Passiert vor 10 jahren in Österreich im Jahr 2004. Der Fremden- und Menschenrechtsanwalt Georg Bürstmayr war für die Wiederberufung als Vorsitzender einer Kommission des menschenrechtsberats vorgesehen. Der damalige Innenminister Ernst Strasser sprach sich ohen nähere Begründung gegen die erneute Nominierung Bürstmayrs aus. Und siehe da: Dachverhaltsdarstellung des BKA gegen den Kollegen Bürstmayr bei der Staatsanwaltschaft Wien. Verdacht der Schlepperei. Weils so schön ist, kann ich es Ihnen nicht vorenthalten: Sachverhaltsdarstellungen gegen einen Anwalt wegen umfassender Rechtsberatung über Möglichkeiten der Vorgangsweisen. Die Verfahren, das auch gegen die Kollegin Nadja Lorenz wegen des Verdachts der Schlepperei geführt wurde, wurde eingestellt und last But not least wurden beide für ihr bewundernswertes Engagement 2005 mit dem Bruno Kreisky Preis für Menschenrechte ausgezeichnet.” Wie das Leben so spielt, auch Ernst Strasser hat mediale Aufmerksamkeit erregt, wurde wegen Bestechlichkeit zu drei Jahren Haft verurteilt. In der Gefängnisbibliothek in der Justizanstalt Wien-Simmering hat er jetzt genug Zeit zur Verfügung, ich wünsche ihm, dass er neben vieler spannenden Agententhrillers auch die eine oder andere Minute Zeit findet, sich in die Geheimnisvolle Sphäre der Menschenrechte zu verirren.” (bp)

December 4, 2014 – 13:59

Über die politische Dimension dieses Verfahrens, die Angeklagten kennen sich großteils aus der Refugeeprotestbewegung, wurde bereits ausführlich gesprochen. Aus Gründen billiger Wahlkampftaktik wurde öffentlich ein schreckliches Bild von den Angeklagten gezeichnet: ’10 Millionen Euro Umsatz’, ‘Schleppersyndikat, das schwangere Frauen hilflos auf der Route zurückgelassenhat’ – ein Bild, das mit meinen eigenen Wahrnehmungen von den Angeklagten und den Ergebnissen des Beweisverfahrens aber auch nicht einmal im entferntesten in Einklang zu bringen ist. Sie, hoher Senat, haben die Möglichkeit, dieses völlig falsche Bild ordentlich zu recht zu rücke, es ist ihre Aufgabe zu entscheiden, ob überhaupt und wen ja, inwieweit §114FPG auf das Verhalten der Angeklagten anzuwenden ist.” (bp)

December 4, 2014 – 14:01

Ich teile überhaupt nicht die Ansicht der Staatsanwältin, dass politische Kritik an den Gesetzgeber zu richten sei, ich werde auch anhand von Zitaten zeigen, dass das nicht so ist. Es geht hier unter anderem auch um die Frage der Interpretation von Gesetzen. Dies ist letztlich auch eine Wertungs- und Gewissensfrage in welche Richtung Sie unbestimmte Gesetzesbegriffe auslegen, Sie haben, und zwar auch als Laienrichter, durchaus einen Ermessensspielraum und ich lade Sie ein von diesem Spielraum auch Gebrauch zu machen. Es ist nicht so, wie die Staatsanwältin meint ‘es ist eh alles klar’”. (bp)

December 4, 2014 – 14:02

Vielleicht können Sie sich noch an mein Ungarnbeispiel im Eröffnungsplädoyer erinnern, ich hoffe ich kann mich jezt noch richtig erinnern. Also: Sie, liebe Schöffen und Ersatzschöffen machen als Gruppe eine Wanderung ins Burgenland und kommen in die Nähe der ungarischen Grenze. Während ihrer Wanderung treffen Sie auf einen der Detschen Sprache kaum oder nicht mächtigen, etwas desorientiert wirkenden, nicht sehr gut gekleideten und offenkundig hungrigen Menschen. Aus humanitären Gründen beschließen Sie gemeinsam diesem zu helfen und weil Sie so nett sind, nehmen ihn zum nächsten Wirtshaus mit. Der Wirt, ebenso ein hilfsbereiter Mensch, versorgt ihn mit Essen und Unterkunft und weil er Ihre Hilfe so lobenswert findet, gibt er Ihnen auch ein Essen aus. Was wird’s wert sein? 10 – 20,- pro Nase. Solch ein Wirtshaus ist wahrscheinlich gut besucht, Freundlichkeit und gutes Essen und natürlich befindet sich dort auch ein erschöpfter verdeckter Ermittler unserer SOKO auf Pause und hört aufmerksam ihren Gesprächen zu. Ratatatatata – die nächste Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachts der Schlepperei ist schon in Arbeit.” (bp)

December 4, 2014 – 14:05

Ich möchte Ihnen gerne anhand dieses Beispiels rechtliche Interpretationsmöglichkeiten aufzeigen, dieses Beispiel erscheint mir plastischer. Zur Interpretation: Wir Juristen neigen gerade beim Interpretieren von Gesetzen dazu, besonders Gescheites bedeutungsschwanger in den Raum zu werfen; im Prinzip ist Interpretieren aber nicht allzu schwer. Vor allem: Strafgesetze richten sich hoffentlich nicht primär an Richterinnen/Statsanwältinnen/Verteidigerinnen sondern an die Allgemeinheit. Der Verfassungsgerichtshof sagt zur Verständlichkeit von Gesetzen und behördlichen Entscheidungen: ‘Es kommt nicht darauf an, ob ein Rechtsunterworfener in concreto kraft subtiler Sachkenntnis und außerordentlichen methodischen Fähigkeiten bzw. einer gewissen Lust zum Lösen von Denksport-Aufgaben eine behördliche Entscheidung nachzuvollziehen in der Lage ist, sondern darauf, dass die Norm für den Durchschnittsbürger verständlich sein muss.’ Also trauen Sie es sich zu, von Ihrem Ermessensspielraum Gebrauch zu machen.” (bp)

December 4, 2014 – 14:08

Um nicht zu rechtstechnisch zu werden ein plastisches Beispiel: §75 StGB Mord bestimmt: ‘Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.’ Sie fahren mit ihrem Fahrzeug durch ein Ortsgebiet, ein Fußgänger läuft ihnen vors Auto und stirbt. Mord? Klingt auch für Nichtjuristen seltsam. In der Regel wird es wohl nicht so sein. Alelrdings nach dem reinen Wortlaut des §75 StGB ja, Sie haben den Fußgänger getötet. Die reine Wortinterpretation ist aber wie wir gehört haben nur der Anfang, der Ausgangspunkt der Interpretation. Beim Interpretieren klebt man nicht am Wortlaut, sondern schaut quasi über den Tellerrand hinaus. Schaut man sich den Paragraph im System des Strafgesetzbuches an, wird man auf die §§ 5, 6, 80 StGB stoßen. Vorsatz §5 StGB vereinfacht: man will etwas; Fahrlässigkeit §6: man will es nicht aber es passiert aus Unaufmerksamkeit, §80 fahrlässige Tötung.” (bp)

December 4, 2014 – 14:09

Sehen Sie den Fußgänger, erkennen ihn als Lieberhaber Ihrer Frau und steigen aufs Gas, werden Sie sich wegen §75 StGB Mord verantworten müssen. Haben Sie den Fußgänger nicht gesehen, weil übermüdet, beeinträchtigt oder zu schnell unterwegs, kommt fahrlässige Tötung in Betracht. Haben Sie alle Vorschriften eingehalten und konnten den Unfall nicht verhindern, ist es ein tragischer Unfall für den Sie gar nicht bestraft werden. Sie sehen also, so einfach ist es nicht. Nichts anderes gilt aber für die Begriffe ‘fördern’, wenn Sie dem armen Teufel etwas zu Essen geben, wo fördern Sie dann die rechtswidrige Einreise? Oder wenn der Schaffner ihm Karten verkauft? Sie sehen also, so klar ist das alles nicht.” (bp) December 4, 2014 – 14:12

Bei dieser Gesamtbetrachtung ist insbesondere zu beachten, dass §114 FPG ein einfaches Gesetz ist. Nach dem Stufenbau der Rechtsordnung sind über den einfachen Gesetzen, also höherrangig, Verfassungsgesetze. Verfassungsgesetze sind quasi das Fundament auf dem alle anderen Gesetze im Haus Österreich aufbauen. Nach ständiger Rechtssprechung sagt der Verfassungsgerichtshof: ‘Jedes Gesetz ist verfassungskonform zu interpretieren, d.h. Bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten ist jene zu wählen, die die Verfassung nicht verletzt.’” (bp)

December 4, 2014 – 14:12

Es gibt Meinungen, wonach die Regelung des §114 FPG überhaupt aus verschiedenen Gründen verfassungswidrig seien, damit will ich Sie jedoch nicht quälen. Als Durchschnittsbürger ist so eine Interpretation machbar, da sind keine Denksportaufgaben notwendig. Und so wie ich Sie, hoher Senat im Verfahren erlebt habe, gehen Sie darüber bei Weitem hinaus. Wenn Sie keine interpretativen Überlegungen anstellen, verurteilen Sie auch jemanden, dem völlig unschuldig jemand vors Auto gelaufen ist, wegen Mord. Es ist ein ganz einfaches Grundrecht: Man kann nicht jemanden kriminalisieren, jemandem in Not zu helfen, im Gegenteil, es gibt eine Verpflichtung, diesen Menschen zu helfen. Unterlassene Hilfeleistung ist auch ein Straftatbestand. Ich habe mich daran zu orientieren, was die Grundrechte der europäischen und österreichischen Menschen sind.” (bp) December 4, 2014 – 14:19

Ich ersuche Sie in Ihrer Rolle als Berufsrichter, Laienrichter, und ich nehme ihre Verantwortung sehr ernst: Wir brauchen nicht erst das Gesetz zu verändern, Sie haben die Auslegungsmöglichkeit. Der §114 wurde ja vom Kollegen Lahner schon ausreichend behandelt, darauf gehe ich nicht mehr ein, aber Sie sind den Grundrechten verpflichtet. Und wenn der Papst eine Rede hält, was Menschenrechte sind und dafür standing ovations kriegt, dann sind das Zeichen. Es ist eine österreichische Wertevorstellung, jemandem der in Not ist, zu helfen. An diesen Grundwerten haben Sie sich zu orientieren.” (bp)

December 4, 2014 – 14:25

Nach der Judikatur muss ersichtlich sein, dass der Einzelne im Vorhinein genau sehen kann, weswegen er belangt wird, sonst ist das auch verfassungswidrig. Es ist aber eigentlich belanglos. Wenn die Wertevorstellung ist, jemandem in Not zu helfen und dann helfe ich jemandem und kriege halt das Geld fürs Ticket oder noch ein paar Euro dazu, dann ist es nicht so klar erkennbar, ob das wirklich strafbar ist oder nicht. Es hat auch eine Veranstaltung in der UNO-City gegeben, wo auch der Präsident des Landesgerichts war und wo letztendlich die Frage im Raum gestanden ist: ‘Soll ich helfen, oder nicht?’, da muss ich ihm als Anwalt sagen: ‘Helfen Sie besser nicht!’. Kurz, für Frau Staatsanwältin: Entgeltlich, heißt für mich Geld. Das ist für mich Kohle, Zaster, was zum Angreifen. Wie soll denn eine Wurstsemmel Entgelt sein? Das ist ganz einfach zu interpretieren, ohne juristische Spitzfindigkeiten.” (bp)

December 4, 2014 – 14:29

Eine weitere, überlegung, die will ich Ihnen nicht vorenthalten, eine Meinung von Herrn Professor Schmoler, ein angesehener Strafrechtswissenschaftler besagt: ‘Entgelt, das ein Abgleich ist, kann in keiner Hinsicht als rechtswidrig angesehen werden.’ Flucht ist ohne humanitäre Mittel nicht möglich. Dass Geld für eine Reisebewegung notwendig ist, ist völlig klar. Und er sagt: ‘Selbst wenn es einen Überschuss von 10€ oder wovon wir hier so reden, gibt, dann ist das noch lange nicht unrechtmäßig. Das ist es erst, wenn es deutlich mehr ist.’ Der 10er und der 20er sind also, wenn man diese verfassensrechtliche Belange miteinbezieht, kein Thema.” (bp)

December 4, 2014 – 14:30

Eine letzte Geschichte: Wenn man sich die Anklage so anschaut […], dann bleibt, wenn wir uns ehrlich sind, gar nichts mehr übrig. Die ganzen ‘noch auszuforschenden’ Personen, das ist eine Unsitte. Das ins Verfahren hineinzutragen ist bis jetzt nirgendwo vorgesehen. Und um noch einmal zu Ungarn zurückzukommen, auch wenn Sie den Menschen aufgreifen, der Kollege Lahner hat Ihnen mindestens 5 Punkte gesagt, warum das noch lange nicht rechtswidrig ist.” (bp)

December 4, 2014 – 14:32

Ich schließe mit, ein schöner Schluss: ‘Im Zweifel für den Angeklagten’, und wenn man nicht sagen kann, wer die noch Auszuforschenden sind, dann ist das gar nichts. Man muss sich bei einer Verurteilung so sicher sein, dass man auch wenn man nach drei Jahren in der Nacht aufsteht, weiß, dass das Urteil richtig war.” (bp)

December 4, 2014 – 14:33

Verteidigerin WEINBERGER

Nun ist Renate Weinberger, die Verteidigerin des Siebtangeklagten, am Wort. Auch sie beginnt ihr Abschlussplädoyers mit einer Kritik der Anklageschrift, die basierend auf ein fragwürdiges Ermittlungsverfahren, die für einige Umstände in der Hauptverhandlung sorgten. So wird aus ihr nicht ersichtlich, ob es sich um rechtswidrig eingereiste Personen gehandelt habe und ob die hier Angeklagten für diese Hilfsleistungen überhaupt Geld genommen haben, so Weinberger. Sie geht nun auf ihren Mandanten ein, schildert dass er im März 2013 aus Pakistan nach Österreich gekommen ist, im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen einen Asylantrag gestellt hat und nach kurzer Zeit dort auf den Flüchtlingsprotest aufmerksam wurde. Er ging, wie viele andere, mit nach Wien, wo dann erst im Votivpark und später in der Votivkirche und im Servitenkloster der Protest fortgeführt wurde. In diesem Umfeld hat der Siebtangeklagte auch die hier anwesenden anderen Angeklagten kennengelernt, nicht alle, aber die meisten. „Dann war er einige Monate in der Protestbewegung tätig“, war gleichzeitig erwerbstätig und „bemüht seinen eigenen Unterhalt zu erwirtschaften“. (mz)

December 4, 2014 – 14:41

Verteidigerin Weinberger führt fort: „Wie wir schon mehrfach gehört haben, ist es erforderlich dass jemand eine Förderungshandlung zur Begehung einer rechtswidrigen Migration tätigt oder diese plant.“ Sie fügt hinzu, dass bis heute für viele Reisbewegungen nicht geklärt werden konnte, ob diese tatsächlich rechtswidrig waren und ob tatsächlich Geldleistungen als Belohnungen geflossen sind. ordern das innere wollen gilt es zu beurteilen. Ihr Mandant zum Beispiel, so haben wir in mehreren Telefonaten gehört, beschwerte sich mehr als einmal weil er Geld ausgelegt habe um zu helfen und dieses nie zurückerhielt. Eine Bereicherung war also im Beweisverfahren nicht nachweisbar. (mz)

December 4, 2014 – 14:44

Auch sie erachtet es nicht als erwiesen, dass ihr Mandat Teil einer kriminellen Vereinigung ist und war, da man hier nicht von organisierten Strukturen reden kann, der Siebtangeklagte habe auch zu keiner Zeit Kontakt zum im Verfahren mehrfach erwähnten Schlepperboss gehabt. Er kannte die anderen Angeklagte eigentlich nur durch die Protestbewegung, mit einigen habe er sich im Laufe dessen angefreundet: „Freunde sind keine kriminelle Vereinigung“, so erklärt seine Verteidigerin. (mz)

December 4, 2014 – 14:50

Die Verteidigerin des Siebtangeklagten geht ebenfalls die ihm angelasteten Fakten durch und trägt entlastende Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung vor. Unter anderem habe er für kurze Zeit 2 Verwandte in Wien betreut, diese brachten 2 weitere Freunde mit, er ließ alle 4 im Servitenklotster übernachten, dann ging er zur Arbeit. Nachdem die 4 Personen nur für eine Nacht bleiben durften, bat er einen anderen Angeklagten um Hilfe, der dann die 4 zu einer anderen Unterkunft brachte. „Was dort schlepperrelevant sein soll“, weiß die Verteidigerin „beim besten Willen nicht“. Bei einem weiteren Faktum kam vor Gericht heraus, dass ihr Mandant Personen 20 Euro auslegte, die er zu einem späteren Zeitpunkt zurückbekam. Ein weiteres Beispiel, welches seine Verteidigerin anführt ist das zur Verfügung stellen von Duschmöglichkeiten, daraufhin erklärt Weinberger, dass man „auch ungeduscht illegal immigrieren kann.“ Gelächter im Saal folgt. Sie fasst zusammen, dass die „Begleitung von Personen“, ohne Geld dafür zu bekommen, sondern Geld dafür auszugeben, kein gewinnbringendes Geschäft ist, sondern Verlust. Außerdem habe ihr Mandant Personen mit Essen und Trinken versorgt und dies oft aus eigener Tasche gezahlt. Auch das ist keine Schlepperei, wie sie im §114FPG vorgesehen ist. (mz)

December 4, 2014 – 14:59

Das Abschlussplädoyer von Verteidigerin Weinberger wird mit den Worten: „Freispruch für ihren Klienten, den Siebtangeklagten im #Fluchthilfeprozess. (…) Angeklagte sind in einer fremden Kultur gelandet nach ihrer Flucht, sie schlagen sich durch hier. Im Falle einer Verurteilung Bitte um mildernde Strafe und die Untersuchungshaft meines Mandanten anzurechnen“ beendet. Wir setzen fort mit dem Verteidiger des Achtangeklagten, dem letzten Abschlussplädoyer für heute.” (kw & mz & bp)

December 4, 2014 – 15:11

Verteidiger STEINER

Verteidiger Steiner, Beginn des Abschlussplädoyers: “Wenn man sich Anklage durchsieht, ergibt sich, dass Achtangeklagter insgesamt nur zwei Mal zwei Mitangeklagten geholfen hat -unentgeltlich. Andere Angeklagte kannte der Achtangeklagte nicht, auch nicht aus Refugee Protest Bewegung, Votivkirche oder Servitenkloster. Wie kommt mein Mandant also überhaupt in die Anklage rein – wenn er selbst beim zuständigen Bezirksinspektor nicht vorkommt, in dessen Unterlagen?” (kw)

December 4, 2014 – 15:16

Steiner weiter: “Bei meinem Mandanten sind Zuordnungen nur dadurch getroffen worden, dass sich die hier Angeklagten untereinander “Pathan” genannt haben – eine Bezeichnung für Personen aus der selben Region in Afghanistan. Dadurch wurde er bestimmten Fakten zugeordnet – da er als einziger afghanischer Staatsbürger im Verfahren angeklagt ist. Es ist in vielerlei Hinsicht ersichtlich, dass es sich bei den ihn hier belastenden Fakten nicht um meinen Mandanten handelt. Bezirksinspektor Kranz selbst, hat in der Hauptverhandlung bereits gesagt, dass mein Mandant in seinem Akt gar nicht vorkommt.” (kw)

December 4, 2014 – 15:21

Es geht in weiterer Folge um einen Auslagenersatz, es wird gestritten zwischen den beiden (Acht- und . Daher auch die Telefonate “Geht zur Polizei, zeigt sie an.” 8 geht zur Station, zeigt sie ihnen und bleibt stehen. Es wäre mir höchst lebensfremd als Mitglied einer Schlepperbande, dass ich die von mir geschleppten zur Polizei bringen, dort stehenbleibe und warte, bis die Polizei kommt. Ich möchte daher für ihn einen Freispruch beantragen. Grundsätzlich wär es das gewesen, aber da er bereits im Rahmen des Suchtmittelgesetzes vorbestraft ist, möchte ich für den Fall einer Verurteilung eine gelindere Strafe fordern. Es wird sich auch der Schöff*innensenat damit auseinandersetzen müssen, ob die Qualifikationen wie kriminelle Vereinigung auch auf meinen Mandanten zutreffen.” (bp)

December 4, 2014 – 15:26

RICHTERIN

Richterin: “Darf ich die Dolmetscher bitten für die Angeklagten zu übersetzen: Bischof hat für Freispruch plädiert. Verteidigerin Weinberger ebenso, wobei sie um milderndes Urteil und U-Haftanrechnung im Falle einer Verurteilung plädiert; ebenfalls Verteidiger Steiner: Freispruch, doch im Falle eins Schuldspruches ein milderndes Urteil. (Wir weisen darauf hin, dass diese wenigen zusammenfassenden Sätze die einzigen Übersetzungen an die Angeklagten sind – diesen wurden die Abschlussplädoyers gar nicht rückübersetzt. Anm.). Richterin: “Angeklagten haben das Recht nun zu sprechen, bevor der Senat sich zurück zieht, außer sie schließen sich ihren Verteidiger*innen an.” (kw)

December 4, 2014 – 15:27

ANGEKLAGTE

Der Erstangeklagte schließt sich seinem Verteidiger an, der Zweitangeklagte entschuldigt sich für das Zuspätkommen am heutigen Prozesstag: “Ich habe Kinder und eine Frau, ich möchte einen Freispruch damit ich zu meiner Familie komme und ein ordentliches Leben führen kann. Ich bin kein Krimineller, habe nichts getan und kein Geld genommen.” Der Drittangeklagte sagt: “Ich war 8 Monate lang in Untersuchungshaft, aber wir haben nur unentgeltlich geholfen. Das ist keine internationale Schleppereiagentur. Ich bin jung, ich bin hier her gekommen und möchte auch hier leben. Bitte machen sie etwas, damit ich hier mein Leben führen kann.” Der Viertangeklagte klagt an: “Ich war 8 Monate lang in Untersuchungshaft und diese Verhandlung dauert schon 9 Monate. Ich habe kleine Kinder, ihre Leben sind ruiniert. Ich habe gar nichts gemacht, warum stehe ich jetzt hier? Ich bitte um Gnade.” (bp)

December 4, 2014 – 16:18

Der Fünftangeklagte äußert sich wiefolgt: “Ich habe von 27. März bis heute alle meine Fehler zugegeben, es war eine Gier von 10, 20, 30 Euro, das habe ich schon von Anfang an zugegeben. Alle Leute die hier sind, sind meine Zeug*innen. Ich habe mit Kriminalität nichts zu tun, meine Zukunft ist ruiniert. Ich bedanke mich bei allen Anwält*innen und Unterstützer*innen, die mir geholfen haben, seit 27. März bin ich frei und habe nichts Schlimmes getan. Ich arbeite und entschuldige mich für die Fehler, die ich gemacht habe. Meine Zukunft ist ruiniert, aber wenn Sie mir Erlaubnis geben in diesem Land zu bleiben, ist das auch eine Gnade. Bitte schicken Sie mich nicht zurück in Haft.” (bp)

December 4, 2014 – 16:19

Der Sechstangeklagte schließt sich der Verteidigung an, auch der Siebentangeklagte. Er möchte “wieder normal leben und einen Freispruch.” Auch der Achtangeklagte schließt sich seinem Verteidiger an. (bp)

December 4, 2014 – 16:20

RICHTERIN

Richterin will noch “Organisatorisches” mitteilen, bevor sich der Schöff*innensenat zurückzieht: “Für die Urteilsverkündung werden Platzkarten ausgeteilt, Sicherheitsgründen. Diese werden vor Eintritt zum großen Schwurgerichtssaal vergeben werden. Voraussichtlich wird die Urteilsverkündung ungefähr um 20 Uhr verkündet werden.” (kw)

December 4, 2014 – 16:23

Verspätung der Urteilsverkündung

Mittlerweile -seit 16 Uhr- ist das Gerichtsgebäude zugesperrt. Zahlreiche Menschen nehmen an der Kundgebung vor dem Eingang statt, welche bis 24 Uhr angemeldet ist – eine solidarische Sambagruppe trommelt, die Angeklagten sprechen über Lautsprecher zu den sich versammelten Menschen, Parolen werden skandiert: “No border, no nation, Stop criminalization! Refugees are welcome here!” Ein Angeklagter singt. Es wird gewartet auf die Urteilsverkündung um 20 Uhr. Die Angeklagten bitten um solidarischen Beistand. (kw & bp)

December 4, 2014 – 16:28

Es wurde uns soeben mitgeteilt, dass die Urteilsverkündung um eine Stunde später stattfinden wird: um 21 Uhr. Die Sicherheitskräfte haben angegeben, dass ab 20 Uhr Zugang ins Gerichtsgebäude möglich ist, sowie die Abholung von Platzkarten (ca. 75 Stück, diese Info allerdings nicht sicher, Anm. kw)

December 4, 2014 – 19:26

Verteidiger Bischof teilte soeben mit, dass die Richterin ausrichten ließ, dass sich die Urteilsverkündung noch heraus zögern wird – zwischen 21.30 und 21.45 stattfindet. Mittlerweile befinden sich 70-90 Personen versammelt im Eingangsbereich zum großen Schwurgerichtssaal. Großes Polizeiaufgebot im Gerichtsgebäude -fast 1:1- Beamt*innen filmen den Haupteingangsbereich beim Betreten des Gebäudes. (kw) December 4, 2014 – 20:55

Mittlerweile wurde angekündigt, dass sich eine Urteilsverkündung vor 22 Uhr nicht ausgehen wird. Eine Zeitangabe wurde diesmal nicht mehr mitgeteilt. Der heutige letzte Verhandlungstag dauert mittlerweile schon über 13 Stunden. (kw)

December 4, 2014 – 22:11

Wir haben soeben den großen Schwurgerichtssaal betreten. Ca. zehn Polizist*innen bewachen den Raum. Der Schöff*innensenat befindet sich noch immer im HInterzimmer und hat sich gerade das Strafgesetzbuch von einer Assistentin holen lassen. Es bleibt also unklar, wann ein Urteilsspruch zu erwarten ist. Zumindest befinden wir uns nun alle im Raum, es sieht danach aus, dass alle Platz gefunden haben. (kw)

December 4, 2014 – 22:53

Die Richterin hat soeben kurz den Saal betreten, um der Staatsanwältin etwas mitzuteilen. Anschließend gingen beide gemeinsam hinaus. Indes warten weiterhin alle auf das Urteil. (bp)

December 4, 2014 – 23:14

Auch ein Schöffe betritt kurzzeitig den Raum, um ihn dann sogleich wieder zu verlassen. (bp)

December 4, 2014 – 23:15

Die Staatsanwältin ist zurück. Ein Schöffe blickt kurz aus dem Hinterzimmer, die Schreiberin betritt den Raum und schlussendlich wird die Strafsache aufgerufen. (bp)

December 4, 2014 – 23:23

Wir werden morgen die Urteilsbekundung nachtickern. Bis dahin sind Informationen unter #Fluchthilfeprozess auf Twitter nachzulesen – sowohl von uns, als auch vielen anderen vor Gericht anwesenden Personen. (kw)

December 5, 2014 – 03:54

Nachgetickerte/Nachgetragene

Urteilsverkündung

URTEILSVERKÜNDUNG am 4.Dezember 2015 gegen Mitternacht, nach einem fast 15 Stunden andauernden letzten Verhandlungs-/Urteilstag.

Die Richterin verkündet nun das Urteil, nur wenige Zuseher*innen stehen auf.

Vernehmen Sie das Urteil, im Namen der Republik.” Der Erst-, der Zweit-, der Dritt-, der Fünft-, der Sechst-, der Siebt- sowie der Achtangeklagte sind schuldig wiefolgt: “Sie haben in Traiskirchen und Wien die rechtswidrige Ein- und Durchreise in und durch Mitgliedsstaaten der EU, insbesondere von Ungarn, nach insbesondere Deutschland und Italien gefördert um sich und Dritte zu bereichen.”

Nun verliest die Richterin die einzelnen Fakten, zu denen die Angeklagten für schuldig befunden wurden, es sind ungefähr 20, wobei viele “aufgrund des gleichen Lebenssachverhaltes in anderen aufgehen”, also zusammengefasst werden. Die Vorwürfe lauten wiefolgt: Der Angeklagte habe “in bewusstem und gewollten Zusammenwirken” mit einer oder mehreren “unbekannten[en] Person[en], einer abgesondert verfolgten Person oder Mitangeklagten, im Zeitraum von [Datum] bis [Datum] die rechtswidrige Durch- oder Weiterreise von [Anzahl] Personen gefördert, organisiert, sie zum Abfahrtsort begleitet oder hat diese im Vorfeld verpflegt, beherbergt, betreut, ihnen Übernachtungsmöglichkeiten verschafft.

Dabei ist die Anzahl der Personen in den meisten Fällen “nicht mehr feststellbar”, aber bei “mindestens zwei” und das Zielland nicht selten ein “unbekanntes Land der Europäischen Union”.

Dabei haben die Erst-, Fünft- und Siebentangeklagten die Tat “gewerbsmäßig”, die Erst-, Zweit-, Dritt-, Fünft-, Sechst- und Siebentangeklagten diese “hinsichtlich einer größeren Anzahl von Personen” und die Erst-, Zweit-, Dritt-, Fünft-, Sechst- und Siebentangeklagten die Tat als “Mitglieder einer kriminellen Vereinigung” begangen. Beim Achtangeklagten liege “nur der Grundtatbestand, ohne weitere Qualifikationen” vor. Dem Zweitangeklagten wird zusätzlich zu §114 FPG noch die Sachbeschädigung (einer Krawatte) vorgeworfen, (obwohl er sich bei der betroffenen Person mehrfach entschuldigt und diese ihr Verständnis gezeigt hatte, Anm., bp).

Während der gesamten Verlesung ist die Stimmung im Saal aufgebracht, es fallen viele Zwischenrufe: “Ihr seid die einzige kriminelle Vereinigung!”, “Ist der ÖVP-Wahlkampf jetzt vorbei?”, “Das ist ein Wahnsinn, von Anfang an!”, “Er hat Essen gebracht in den Park, mehr nicht, verdammt nochmal!”. Einzelne Zuseher*innen verlassen den Saal, die Richterin reagiert jedoch nicht, wiederholt nur in manchen Fällen den Vortrag. Bis jetzt wurde den Angeklagten außerdem noch nichts übersetzt.

Nun folgt die Übersetzung, die sehr kurz gehalten wird. Der Erstangeklagte ist aufgebracht, spricht lange, doch der Dolmetscher übersetzt ihn nicht und diskutiert stattdessen mit ihm. Rufe aus dem Publikum werden laut: “Übersetzen Sie ihn doch!”, die Richterin ermahnt mehrfach, dass er leise sein soll, damit “die anderen Angeklagten auch die Urteile hören können”.

Die Strafen werden nun verlesen. Der Erstangeklagte wird zu 22 Monaten Freiheitsstrafe, 15 davon bedingt, verurteilt. Der Zweitangeklagte zu 8 Monaten, 7 davon bedingt, der Drittangeklagte zu 7 Monaten, 6 davon bedingt. Der Fünftangeklagte wird zu 28 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, wobei 21 davon bedingt ausfallen, der Sechstangeklagte wird zu 13 Monaten, 10 davon bedingt, verurteilt, der Siebentangeklagte zu 18 Monaten, 15 davon bedingt und der Achtangeklagte zu 10 Monaten, 7 davon bedingt, wobei alle unbedingten Haftstrafen “bereits in der Untersuchungshaft verbüßt” wurden.

Nach der Verlesung des Strafausmaßes bekundet der Drittangeklagte: “Ich akzeptiere meine Strafe nicht!”, auch der Erstangeklagte erhebt wieder die Stimme. Die Richterin ist aufgebracht, schreit: “Jetzt seien Sie kurz still!”.

Mildernd bei der Entscheidung über das Strafausmaß seien bei den Angeklagten zumeist der “ordentliche Lebenswandel”, beim Erstangeklagten das “reumütige Geständnis”, und bei allen außer dem Erstangeklagten der “Beitrag zur Wahrheitsfindung” gewesen. Erschwerend war bei allen die “mehrfache Deliktsqualifikation”, die “mehrfache Tatwiederholung”, sowie beim Zweitangeklagten das “Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen.”

Die Richterin erklärt weiters: “Ein Großteil der Anklagepunkte konnte nicht mit der für das Verfahren notwendigen Sicherheit als Förderungshandlung gemäß §114 FPG nachgewiesen werden, der Viertangeklagte ist freigesprochen in Hinblick auf eine glaubwürde und plausible Darlegung der Gründe für die Gespräche, nämlich dass es um die eigene Ausreise gegangen sei (Wir erinnern uns: Eigenschleppung ist nicht strafbar, Komm.). Wo es ein Indiz gegeben hat, wurde er entlastet.” Weiters werden die Zweit- und Drittangeklagten von der Qualifikation der Gewerbsmäßigkeit freigesprochen. Beim Fünftangeklagten “besteht für den Schöff*innensenat kein Zweifel, dass entgeltliche Förderungshandlungen passiert sind. Bei den Telefonüberwachungs-Mitschnitten ist sehr wohl zwischen ent- und untentgeltlichen Förderungshandlungen differenziert worden. Indem er aber von Küken und Hendln spricht, die zu schlachten seien, wenn er von Messern spricht, ist es für den Schöff*innensenat eindeutig, dass seine Intention war, sich Geld zu verschaffen.”

Die Richterin betont: “Nach dem Paragraphen 114 FPG bedarf es keiner rechtswidrigen Ein- beziehungsweise Durchreise, es genügen Verhaltensweisen im Vorfeld einer rechtswidrigen Migration. Die Entgeltlichkeit ergibt sich aus einer Reihe von Western-Union Überweisungen, wobei sich auch im Rahmen des Beweisverfahrens ergeben hat, dass Personen Barmittel mit sich hatten und auch bar bezahlt haben. Weiters gab es ein Gespräch, in dem das System ‘Havala’ beschrieben wurde.”

Im Saal ist die Stimmung weiter am Kippen, Polizist*innen stehen auf jeder Seite der Zuseher*innenreihen. Nach wie vor wird kein Mensch ermahnt oder hinausgeschmissen.

Hinsichtlich der “größeren Anzahl von Personen” erklärt die Richterin: “Die Deliktsqualifikation liegt bei mindestens 10 Personen. Der Zweit-, der Dritt- und der Sechstangeklagte sind einmal für 11 Personen nach Ungarn gefahren, hier wird der Tatbestand allein dadurch erfüllt. Die anderen haben ihn durch Zusammenrechnen der einzelnen Fakten ebenfalls erreicht.” Weiter: “Hinsichtlich der Gewerbsmäßigkeit genügt es, wenn Angeklagte sich eine Nebenerwerbsquelle beschaffen wollten. Der Fünftangeklagte war als Zusteller tätig, doch ein Nebenerwerb reicht. Ein maßgebliches Kriterium zu §70 StGB, ‘gewerbsmäßige Tatbegehung’, ist die ‘beabsichtigte Einnahmegewinnung’, diese kann auch gegeben sein, wenn der Täter der Absicht in Folge einer Fehlkalkulation oder anderer Gründe nicht nachgehen kann oder auch einen Verlust erleidet.”

Erst zum zweiten Mal während der Urteilsverlesung übersetzt der Dolmetscher das bisher Gesagte den Angeklagten in aller Kürze. Der Erstangeklagte möchte immer noch gehört werden. Aus dem Publikum ruft eine Person zum Dolmetscher: “He ist not translating properly, I can understand what he says! He is translating bullshit!”, der Gerichtsdolmetscher schreit zurück: “Shut up!”.

Nach weiteren Tumulten fährt die Richterin fort: “Bei den Zweit-, Dritt- und Sechstangeklagten konnte die Erbwerbsmäßigkeit nicht nachgewiesen werden, auch weil nicht sicher war, ob sie die Bagatellgrenze erreicht haben. Beim Achtangeklagten ist lediglich der Grundtatbestand erfüllt, nicht jedoch das Verbrechen in Hinsicht auf eine ‘größere Anzahl’, eine ‘kriminelle Vereinigung’ oder der ‘Gewerbsmäßigkeit’.” Der Dolmetscher möchte diesen Passus nun übersetzen, die Richterin wartet aber nicht so lange und unterbricht ihn: “Eine kriminelle Vereinigung ist außerdem nicht gleichzusetzen mit einer kriminellen Organisation, …”, Verteidiger Lahner unterbricht nun wiederum sie und fragt: “War das schon fertig übersetzt?” – “Nein”, so die Antwort des Dolmetschers.

Wieder ein Ausruf aus dem Publikum: “He is not translating properly, he is misbehaving! He is saying bullshit!”, eine andere Person ruft fragend: “Ist Kritik an den Dolmetschern nicht zulässig?” Die Richterin schreit: “Verlassen Sie den Saal, beschimpfen Sie niemanden!”. Niemand verlässt den Saal, die Richterin fährt fort, sagt zur kriminellen Vereinigung: “Der Tatbestand ist bei allen außer beim Achtangeklagten erfüllt, da ihm nur zwei Fakten zur Last gelegt wurden und diese zu gänzlich unterschiedlichen Zeiten erfolgt sind. Sein einziger Bezugspunkt zur Gruppe ist der Fünftangeklagte, mit anderen hatte er keinen Kontakt.” Insbesondere der Kontakt zu zwei Personen in Ungarn wird den restlichen Angeklagten vorgeworfen, so sagt die Richterin vorwurfsvoll: “Sie waren alle in Ungarn.”

Der Zweitangeklagte protestiert, er habe zu der Zeit nicht einmal ein Handy besessen. Richterin: “Zwei Personen wollten, dass Sie sich ein Handy kaufen, um mit Ihnen in Kontakt bleiben zu können. Das gilt als Beweis für die kriminelle Vereinigung.” Sie erklärt weiters: “Bei einigen Fakten konnten die Angeklagten überzeugend darlegen, nur geholfen zu haben. In den letzten Verhandlungstagen wurden jedoch Telefongespräche durchgenommen, die keinen Fakten zugeordnet werden konnten. Aufgrund dieser Gespräche, in denen Wörter wie ‘business’, ‘money’ und ‘profit’ vorkamen, wurde beim Siebentangeklagten davon ausgegangen, dass es nicht nur, wie er es dem Schöff*innensenat weißmachen wollte, zur unentgeltichen Förderung kam.” Anschließend spricht sie davon, dass die Angeklagten zwar nicht die “großen Schlepperbosse” seien, jedoch in einem funktionierenden System einer “großen bedrohlichen Struktur” auch “die kleinsten Zahnrädchen” reibungslos funktionieren müssten.

Abschließend sagt die Richterin: “Es wurden Ihnen alle Haften angerechnet. Sie haben jetzt drei Tage Zeit zu überlegen. Hören Sie zu, es gibt drei Möglichkeiten: Sie können Nichtigkeitsbeschwerde erheben, zum Obersten Gerichtshof gehen wenn sie glauben, dass ein Verfahrensfehler vorliegt, oder Berufung erheben.” Verteidiger Binder meldet sofort Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, zwei Verteidiger*innen beraten sich kurz mit ihren Mandanten und melden an, drei Tage Bedenkzeit zu nehmen. Die anderen Verteidiger*innen geben vorerst keine Erklärung ab. Auch die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab.

Um 00:39 kommt es zum Ende der Verhandlung. Die Stimmung im Saal ist nach wie vor aufgebracht. Viele Einzelgespräche werden geführt, Rückfahrten nach Wien organisiert und sich darum gekümmert, dass Angeklagte noch zu ihrer Arbeit kommen können.