2. Prozess wegen Audimax-Störung

Angeklagte17 Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung der „Identitären“, die im April 2016 eine Theateraufführung von Geflüchteten im Audimax der Universität Wien störten
Vorwürfe§ 285 StGB Verhinderung oder Störung einer Versammlung / § 83 StGB Körperverletzung
RichterinDoris Pass
VerteidigungBernhard Lehofer (Graz)
Anwältin ProzessbeteiligteNadja Lorenz
wichtige Zeug_innenZuschauer_innen des Theaterstücks (die teilweise verletzt wurden), Vertreter_innen der ÖH Uni Wien (die teilweise verletzt wurden), Security, Portier Uni Wien, Polizist welcher die Geschädigten im Audimax befragte
BeweismaterialLichtbilder, Videomaterial

Was bisher geschah

Am Abend des 14.4.2016 organisierte die Studierendenvertretung der Universität Wien eine Theatervorstellung, in der Geflüchtete das Stück „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek aufführten. Nach Beginn der Vorstellung stürmten rund 30-40 Mitglieder der „Identitären“ den vollbesetzten Hörsaal (Audimax). Sie entrollten ein Transparent auf der Bühne, verspritzten Kunstblut, warfen Flyer und skandierten Parolen gegen die Schauspieler_innen auf der Bühne und das Publikum.

Durch das Eingreifen von Teilen des Publikums, gelang es, die Störung zu beenden und die Angreifer_innen aus dem Audimax zu befördern. Es gab eine längere Unterbrechung zur Beruhigung der Menschen im Publikum und auf der Bühne, sowie zur Entfernung des Kunstbluts. Danach konnte das Theaterstück fortgeführt werden.

Auszug aus der Presseaussendung der ÖH Uni Wien:

„Mehrere Personen aus dem Publikum sowie die performenden Geflüchteten wurden geschlagen, gestoßen und verletzt. Die laut DÖW neofaschistischen Gewalttäter_innen machten dabei keinen Unterschied zwischen Erwachsenen, Schwangeren oder Kindern, die unter den Schauspieler_innen waren“.

Am Tag nach dem Angriff fertigten verletzte Geflüchtete aus dem Publikum Gedächtnisprotokolle an, die prozess.report vorliegen. Diese Dokumentation sollte dazu dienen, sichtbar zu machen, dass sich die Gewalt der „Identitären“ an diesen Abend sehr wohl gegen Geflüchtete richtete. (vgl. derstandard)

Ermittlungen und erster Prozess

Die Polizei ermittelte daraufhin wegen Körperverletzung, Störung einer Versammlung und Sachbeschädigung (vgl. derstandard).

Im August und November 2016 standen zehn Mitglieder der rechtsextremen Gruppierung vor dem Bezirksgericht Innere Stadt in Wien. Nach Anzeige durch die ÖH Uni Wien wurden diese zehn Mitglieder wegen Besitzstörung verurteilt. (vgl. derstandard)

Zweiter Prozess

Am 15.2.2018 kam es nun zu einem weiteren Prozess. Die Einvernahme der 16 anwesenden Angeklagten nahm viel Zeit in Anspruch. Sie sagten fast ident aus, nicht in die Planung der Audimax-Störung eingebunden gewesen zu sein. Außerdem wären sie exakt 17 Personen gewesen und es hätte sich um eine „symbolische Intervention“ gehandelt.

Diesen Aussagen widersprachen nicht nur die geladenen Zeug_innen, auch auf der Facebook-Seite der Rechtsextremen war nach dem Angriff die Rede von 40 Beteiligten. Dass bis auf den Erstangeklagten keine_r von den Details der Planung und Durchführung gewusst haben soll (nicht einmal dessen Bruder oder der damalige Mitbewohner), scheint nicht nur für die zuständige Staatsanwältin unglaubwürdig.

Nach der Vernehmung von drei im Publikum anwesenden Student_innen und drei Vertreter_innen der ÖH Uni Wien, beantragten Staatsanwaltschaft und Verteidigung die Ladung weiterer Zeug_innen, um den Sachverhalt aufzuklären. Zudem wurde die Anklage bezüglich einer weiteren Körperverletzung erweitert.

Der erste Verhandlungstag wurde aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und der Vernehmung weiterer Zeug_innen vertagt. Es ist damit zu rechnen, dass es lediglich einen weiteren Prozesstermin benötigt. Es sei denn, es werden weitere, bisher unbekannte, Zeug_innen und Beweise beantragt.

Für den 15.3.2018 sind die Vernehmungen von folgenden Zeug_innen geplant: Drei geflüchtete Personen, die am 14.4.2016 im Publikum saßen und am ersten Verhandlungstag aufgrund des erkrankten Dolmetschers nicht vernommen werden konnten. Darüber hinaus werden der Polizeibeamte, der die Erstvernehmung im Audimax durchführte, sowie eine weitere Zeugin geladen, welche die vorgeworfene Körperverletzung durch den 17. Angeklagten gegen den ersten Zeugen, bestätigen soll. Außerdem hat die Staatsanwältin, nachdem ihr von einem Rechtsvertreter der ÖH Uni Wien die Akten von 2016 überreicht wurden, einen Zeugen beantragt, der bereits im Besitzstörungsverfahren ausgesagt hatte.

Der zweite Verhandlungstag endete mit Freisprüchen für alle Angeklagten. Eine Zusammenfassung folgt in den nächsten Tagen.

Urteilsbegründung

Um etwas als Versammlung einzustufen wird ein gemeinsames Wirken benötigt, Theater- und Konzertveranstaltungen sind prinzipiell davon ausgeschlossen. Laut Richterin, lässt sich schon darüber diskutieren ob der geplante Abend mit Theateraufführung und anschließender Diskussion doch als Versammlung gelten könnte, jedoch kann sie nicht nachweisen ob die Identitären von der geplanten Diskussion danach wussten, von daher ist der benötigte Vorsatz in diesem Fall nicht gegeben gewesen.

Bezüglich der Körperverletzungen konnte die Richterin nicht „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ sicher sein, dass diese von den beschuldigten Angeklagten begangen wurden.

Die Aussagen vom Geschädigten der den 17. Angeklagten beschuldigte sind „bis zum Schluss nicht
100% nachweisbar“ gewesen, so die Richterin in ihrer Begründung. Außerdem gibt es keine Beweise die Widerlegen können, dass der 17. Angeklagte nicht auf der Galerie anwesend war, wie er behauptete. Auf den diversen Fotos und Videos vom Vorfall ist er nicht im unteren Bereich zu sehen, wo es zur Körperverletzung kam. Sie kann also seiner Aussage, sich nur in der Galerie aufgehalten zu haben, nichts Widersprechendes entgegenstellen.

Bei der vorgeworfenen Körperverletzung durch den Erstangeklagten ist ihre Begründung ähnlich. Dass in der verschriftlichten Aussage der Geschädigten durch den Polizeizeugen kein Täter benannt wurde, diese aber bis heute angibt den Erstangeklagten sofort erkannt zu haben, findet die Richterin „kurios“. Sie sieht auch keinen Grund dafür, warum der Polizist dies nicht notiert hätte. Dass der Beschuldigte Sellner am ersten Tag der Hauptverhandlung noch davon sprach niemanden erkannt zu haben, da es so dunkel war, könnte man „jetzt natürlich als Versuch werten die Tat zu leugnen“, dies würde aber nicht ausreichen um zu beweisen dass er diese Körperverletzung begangen hat.

Berufung durch die Staatsanwaltschaft

Laut Vorsteherin des Bezirksgerichtes Baden hat die Staatsanwaltschaft im Prozess bezüglich der Audimax-Störung durch 17 „Identitäre“ Berufung eingelegt. Es wird also in nächster Instanz entschieden, diesmal aber in Wiener Neustadt.

Wir werden natürlich auch über die nächste Instanz berichten.

Rechtslage

§ 285 StGB Verhinderung oder Störung einer Versammlung (Auszug)

Wer eine nicht verbotene Versammlung dadurch verhindert oder erheblich stört, daß er

(1) […]

(2) eine zur Teilnahme berechtigte Person am Zutritt hindert oder ihr den Zutritt erschwert oder ihr die Teilnahme an der Versammlung durch schwere Belästigungen unmöglich macht oder erschwert,

(3) […]

(4) […] […] […] […] […] ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.

§ 83 StGB Körperverletzung (Auszug)

(1) Wer einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu bestrafen.

(2) […]

(3) […]

Ort und Termine

Bezirksgericht Baden
Verhandlungssaal 2, 1. Stock
Conrad von Hötzendorf-Platz 6
2500 Baden

jeweils ab 9:00

Vergangene Termine:

01. Prozesstag – 15.02.2018

02. Prozesstag – 15.03.2018 (Urteil)

Links

#noidis – Tweets vom ersten Verhandlungstag

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