Angeklagte | sechs Geflüchtete, die gemeinsam in einer Zelle im PAZ Hernals inhaftiert waren |
Vorwürfe | versuchte Brandstiftung, Gefährdung der körperlichen Sicherheit, Sachschaden von ca. 60.000 |
wichtige Zeug_innen | Wachbeamt_innen, Vertreter_in der Bundesimmobiliengesellschaft, Brandsachverständiger |
Beweismaterial | Brandgutachten, Tatortmappe mit Fotos, Abschiedsbrief |
Am 14. September 2018 brannte es in einer Zelle des Polizeianhaltezentrums (PAZ) Hernals in Wien. Eine Zelle war in Brand gesetzt worden, im Widerstand gegen die bevorstehenden Abschiebungen und die Bedingungen in der sogenannten „Schubhaft“. Die Abschiebungen konnten dadurch vorerst verhindert werden, stattdessen kamen die sechs Geflüchteten erst ins Krankenhaus und wurden anschließend in Untersuchungshaft in die Justizanstalt Wien Josefstadt überstellt. Anstatt ihre Kritik an den Bedingungen im Abschiebegefängnis und den drohenden Abschiebungen zu thematisieren, wurden sehr schnell der Vorwurf des versuchten Mordes in den Raum gestellt und auch deswegen ermittelt. In vielen Medienberichten wurde dies aufgegriffen und die Beschuldigten so vorverurteilt.
In Abschiebegefängnissen wie dem PAZ Hernals werden Menschen „im Ermessen der Polizei” und ohne richterlichen Beschluss eingesperrt, wenn sie keine gültigen Aufenthaltspapiere haben oder ihre Abschiebung bevor steht. Die Schubhaft ist keine Strafhaft, sondern eine Verwaltungshaft, die offiziell dazu dient, eine Abschiebung durchführen zu können. Immer wieder werden auch Menschen eingesperrt, für die es überhaupt keine Abschiebepapiere gibt, als Begründung wird dann etwa „fehlende Papiere“ oder „abgelaufene Papiere“ angegeben.
In den österreichischen Abschiebegefängnissen sind zahlreiche Misshandlungen, gewalttätige und rassistische Übergriffe durch das Personal dokumentiert. Gleichzeitig gibt es Suizide, Suizidversuche und Selbstverletzungen. Gefangene setzen ihre Gesundheit oder ihr Leben aufs Spiel, weil der Einsatz ihres Körpers als einzige Möglichkeit bleibt, gegen die Gefangenschaft und die drohende Abschiebung Widerstand zu leisten und für ihre Freiheit zu kämpfen. Immer wieder kommt es auch zu Rebellion und Ausbruchsversuchen – die nicht selten erfolgreich sind.
Wie katastrophal die Bedingungen in Abschiebegefängnissen, geht sogar aus einer durch das Innenministerium beantwortete parlamentarischen Anfrage (1681/AB XXVI. GP) hervor, in der es u.a. um die Anzahl der offiziell erfassten Hungerstreiks und Suizidversuche geht.
Zwischen Anfang 2013 und Anfang Oktober 2018 wurden laut Innenministeriums-Statistik in österreichischen Abschiebegefängnissen über 3.700 Hungerstreiks gezählt, davon allein fast 2.850 im PAZ Hernals. Die Zahlen Innenministeriums sind mit Skepsis zu behandeln, etwa stellt sich die Frage, wieviele Hungerstreiks und Versuche, sich das Leben zu nehmen, gar nicht erfasst wurden: Die PAZ Hernals 6 etwa scheinen nicht in der Statistik auf – im September und Oktober 2018 ist von jeweils zwei Selbsttötungsversuchen im PAZ Hernals die Rede. Alarmierend ist jedenfalls die Zunahme der versuchten Selbsttötungen: 31 Gefangene des PAZ Hernals haben versucht, sich in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 das Leben zu nehmen – ein massiver Anstieg, der darauf hinweist, dass die Bedingungen in Abschiebegefängnissen immer unerträglicher für die Gefangenen werden.
Der nun stattfindende Prozess gegen die „PAZ Hernals 6“ ist nur ein Beispiel aus unzähligen Versuchen, Widerstand von geflüchteten Menschen gegen Abschiebungen und Gefangenschaft in Abschiebegefängnissen zu kriminalisieren. Ihr Fall zeigt, wie jene Akteur_innen systematisch kriminalisiert und bestraft werden, die gegen Grenzregime, Zäune und Gitter und staatliche Gewalt gegen Migrant_innen Widerstand leisten. Es ist zu erwarten, dass die Gerichtsakteur_innen darauf aus sind, den Protest zu depolitisieren. Die Angeklagten werden sehr wahrscheinlich in Reaktion darauf unterschiedliche und einander widersprechende Strategien wählen, um sich zu verteidigen.
§ 169 StGB Abs. 1 Brandstiftung
(1) Wer an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst verursacht, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.
§ 15 StGB Strafbarkeit des Versuches
(1) Die Strafdrohungen gegen vorsätzliches Handeln gelten nicht nur für die vollendete Tat, sondern auch für den Versuch und für jede Beteiligung an einem Versuch.
(2) Die Tat ist versucht, sobald der Täter seinen Entschluß, sie auszuführen oder einen anderen dazu zu bestimmen (§12), durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt.
(3) Der Versuch und die Beteiligung daran sind nicht strafbar, wenn die Vollendung der Tat mangels persönlicher Eigenschaften oder Verhältnisse, die das Gesetz beim Handelnden voraussetzt, oder nach der Art der Handlung oder des Gegenstands, an dem die Tat begangen wurde, unter keinen Umständen möglich war.
§ 12 StGB Behandlung aller Beteiligter als Täter
Nicht nur der unmittelbare Täter begeht die strafbare Handlung, sondern auch jeder, der einen anderen dazu bestimmt, sie auszuführen, oder der sonst zu ihrer Ausführung beiträgt.
§ 89 StGB Gefährdung der körperlichen Sicherheit
Wer vorsätzlich, grob fahrlässig (§ 6 Abs. 3) oder fahrlässig unter den in § 81 Abs. 2 umschriebenen Umständen, eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.
Landesgerichtes für Strafsachen Wien
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