Fluchthilfeprozess

Angeklagte acht Geflüchtete aus Pakistan, Afghanistan und Indien teilweise aktiv im Refugee Protest Vienna
Verteidigung Clemens Lahner, Gerhard Angeler, Michaela Lehner, Josef Phillip Bischof, Lennart Binder, Renate Weinberger, Claus Steiner
Richterin Petra Harbich
Staatsanwältin Gunda Fellerer-Ebhart
Wichtige Zeug*innen Bezirksinspektor (BI) Rudolf Kranz, Bezirksinspektor (BI) Martin Unger, Chefinspektor (CI) Bernhard Korner, Personen der Onlineplattform Mitfahrgelegenheit.at/de, Dolmetscher*innen, Irmgard Yoo (Caritas Wien), Mitarbeiter*innen vom Kolpinghaus Wien, u.a.

Was bisher geschah

Ende Juli 2013 wurden innerhalb von zwei Tagen acht Personen der selbstbestimmten Wiener Protestbewegung von Flüchtlingen (Refugee Protest Vienna) – sich selbst als Refugees bezeichnend – nach Pakistan und Ungarn abgeschoben. Diese hatten zuvor monatelang auf Mängel im österreichischen Asylsystem aufmerksam gemacht und sich in zahlreichen öffenlichkeitswirksamen Aktionen wie Märschen, Zeltcamps in der Stadt, Besetzungen und Kunstprojekten für Bewegungsfreiheit und eine Entkriminalisierung von Migration eingesetzt. Ab dem zweiten Tag der Abschiebungen folgten die Festnahmen von insgesamt acht weiteren Refugees aus dem Umfeld dieser Protestbewegung. Unter dem Vorwurf, Mitglieder einer millionenschweren, gewalttätigen und internationalen Schlepperorganisation zu sein, wurden die im Wahlkampf für die Nationalratswahl 2013 stattfindenden Festnahmen von Innenministerium und Exekutive legitimiert. Die ersten Vorwürfe wurden schnell entkräftet – beispielsweise jener, die Refugees hätten ein Millionengeschäft gemacht.

Die Innsbrucker Staatsanwaltschaft leitete währenddessen gegen den Obmann und Rechtsberater für Asylsuchende in der NGO „Asyl in Not“, Michael Genner, einen Prozess ein. Wegen der Veröffentlichung des Artikels „Schlepper und Lumpen“, in dem er ein differenziertes Bild von Schlepperei zeichnet, bestand laut Staatsanwaltschaft Verdacht auf „Gutheißung zu mit Strafe bedrohten Handlungen“ (§ 282/2 StGB). Die Oberstaatsanwaltschaft erteilte kurz vor Prozessbeginn die Weisung, den Strafantrag zurückzunehmen: Genners Aussagen seien doch „zulässige Kritik“ gewesen, man berief sich auf die Meinungsfreiheit. Die Anklageschrift gegen die acht betroffenen Refugees stützt sich weitestgehend auf polizeiliche Telefonüberwachungsprotokolle bzw. deren teils inkorrekte Übersetzungen. Bereits zu Beginn des Prozesses im März 2014 ist klar geworden, dass es bei den Ermittlungsarbeiten gegen die Angeklagten zu großen Fehlern gekommen ist: neben Überschneidungen und genannten Übersetzungsfehlern beinhaltet die Anklageschrift nicht nachvollziehbare Personenzuordnungen. Daraufhin wurde die Verhandlung am fünften Prozesstag für sechs Wochen unterbrochen, um unter anderem die der Anklage zugrundeliegenden zwei sich teils überschneidenden polizeilichen Abschlussberichte zu überprüfen. Auf Grund von „Unverhältnismäßigkeit“ hat die Staatsanwältin der Verteidigung zuvorkommend einen Enthaftungsantrag gestellt. Die sich bis dahin seit sechs bzw. acht Monate in Untersuchungshaft befindenden Refugees wurden am 27. März 2014 entlassen.

Auch im zweiten Teil des Prozesses im Mai und Juni sind Probleme mit den Übersetzungen nicht aus dem Weg geräumt worden. Die im Gerichtssaal vorgespielten Aufnahmen rauschen und sind – auch für die Übersetzer*innen  – unverständlich. Zwei für die Ermittlungen gegen die Refugees leitende Beamte – Bezirksinspektor Kranz und Chefinspektor Korner – können während des Verfahrens weder erklären, wie genau sich die Refugees an Fluchthilfe bereichert haben sollen noch warum sie einen ominösen „Schlepperboss“ namens Bobby Shah im Juni 2013, lange bevor der Fluchthilfeprozess begann, trotz Ausforschung, Überwachung und Zugriffsbefehl haben laufen lassen. Es bleibt unklar, inwiefern die offenbar schon viele Monate laufenden Ermittlungen, Telefonüberwachungen und Beschattungen sich direkt gegen den Refugee Protest Vienna richteten.

Am 19. Prozesstag legte die Staatsanwältin eine modifizierte Anklageschrift vor. Teilweise wurden dort Anklagepunkte zusammengefasst oder einzelne Vorwürfe abgeschwächt. So wurde zum Beispiel aus der vorgeworfenen „entgeltlichen Beihilfe zur Einreise nach Österreich“ der Vorwurf „Förderung der Einreise nach/über Österreich in ein anderes Land“.

Von 8. September 2014 bis 1.Oktober 2014 wurde der Fluchthilfeprozess mit elf weiteren Terminen fortgesetzt. Seit September wurden die Angeklagten zu den ihnen angelasteten 74 Anklagepunkten befragt.

Die selbst Geflüchteten zeigten sich im Prozess zwar teilgeständig, allerdings nicht im Sinne der angeklagten Straftat der „Schlepperei“. Mit der Erklärung, Freund*innen aus ihren Herkunftsländern, innerhalb des vermeintlich grenzfreien EU-Raums auf deren letzter Fluchtetappe in ein selbst gewähltes Zielland geholfen zu haben, verwiesen sie darauf, dass Quoten für positive Asylbescheide innerhalb der EU keinesfalls standardisiert sind. Sie erklärten, dass viele Menschen versuchen, statt dem Durchzugsraum Österreich ein Land wie z.B. Italien oder Deutschland undokumentiert zu erreichen, um dort bei vielfach besseren Chancen um Asyl anzusuchen oder mit Familienmitgliedern zusammen zu kommen.

Es wurde im Laufe der Verhandlung von den Angeklagten ebenfalls erläutert, dass einzelnen im Servitenkloster gemeldeten Refugees mit negativen Asylbescheiden und in direkter Abschiebegefahr, im Sommer 2013 geholfen wurde, Österreich zu verlassen. Für diese haben die Angeklagten oft Geld vorgestreckt oder gesammelt. Auch dafür mussten sie sich nun vor Gericht verantworten.

Mitte September kündigte die Senatsvorsitzende 13 zusätzliche Termine zwischen 9. Oktober und 4. Dezember 2014 an. Es blieb aber unklar, wann ein Urteilsspruch zu erwarten sei. Am Ende des 39. Prozesstages, den 12. November 2014, teilte die Richterin mit, dass es voraussichtlich ab dem 4. Dezember 2014 zu den Abschlussplädoyers kommen wird.

Nachdem sich der Schöff*innensenat am 4.12. für 8 Stunden zurück gezogen hatte, kam es gegen Mitternacht zur Urteilsverkündung. 7 der 8 Angeklagten wurden nach Paragraph 114 FPG für schuldig befunden.

Diese haben fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung eingelegt. Somit ist das Urteil nicht rechtskräftig.

Eine Person wurde gänzlich freigesprochen.

Am 9.12. hat die Staatsanwaltschaft Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil angemeldet. Aufgrund von Zwischenrufen seitens Publikum und Angeklagter sei es ihr nicht möglich gewesen, die Begründung des durch die Senatsvorsitzende vorgetragenen Urteils akustisch nachvollziehen zu können. Dies mache nun eine Prüfung der geforderten schriftlichen Urteilsausfertigung notwendig.

§114 Fremdenpolizeigesetz (FPG): Schlepperei (Auszug)

(1) Wer die rechtswidrige Einreise oder Durchreise eines Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz fördert, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

(2) […]

(3) Wer die Tat nach Abs. 1

1. gewerbsmäßig (§ 70 StGB),

2. in Bezug auf eine größere Zahl von Fremden, oder

3. auf eine Art und Weise, durch die der Fremde, insbesondere während der Beförderung, längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wird, begeht, ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.

(4) Wer die Tat nach Abs. 1 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung oder auf eine Art und Weise begeht, dass dabei das Leben des Fremden, auf den sich die strafbare Handlung bezieht, gefährdet wird, ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.

Ort und Termine

Landesgericht Wiener Neustadt
Schwurgerichtssaal im 1. Stock
Maria-Theresien-Ring 5
2700 Wiener Neustadt

jeweils ab 9:00 bis ca. 15:30

Vergangene Termine:

43. Prozesstag – 04.12.2014 (Abschlussplädoyers & Urteilsverkündung)

42. Prozesstag – 28.11.2014

41. Prozesstag – 20.11.2014
40. Prozesstag – 19.11.2014

39. Prozesstag – 12.11.2014

38. Prozesstag – 10.11.2014

37. Prozesstag – 05.11.2014

36. Prozesstag – 03.11.2014

35. Prozesstag – 28.10.2014

34. Prozesstag – 22.10.2014

33. Prozesstag – 17.10.2014
32. Prozesstag – 13.10.2014

31. Prozesstag – 09.10.2014

30. Prozesstag – 01.10.2014

29. Prozesstag – 30.09.2014

28. Prozesstag – 26.09.2014
27. Prozesstag – 25.09.2014
26. Prozesstag – 24.09.2014

25. Prozesstag – 18.09.2014
24. Prozesstag – 17.09.2014
23. Prozesstag – 15.09.2014

22. Prozesstag – 11.09.2014
21. Prozesstag – 10.09.2014
20. Prozesstag – 08.09.2014
19. Prozesstag – 22.07.2014
18. Prozesstag – 26.06.2014
17. Prozesstag – 25.06.2014
16. Prozesstag – 24.06.2014
15. Prozesstag – 18.06.2014
14. Prozesstag – 17.06.2014
13. Prozesstag – 16.06.2014
12. Prozesstag – 12.06.2014
11. Prozesstag – 11.06.2014
10. Prozesstag – 23.05.2014
09. Prozesstag – 22.05.2014
08. Prozesstag – 21.05.2014
07. Prozesstag – 07.05.2014
06. Prozesstag – 06.05.2014
05. Prozesstag – 27.03.2014
04. Prozesstag – 26.03.2014
03. Prozesstag – 20.03.2014
02. Prozesstag – 19.03.2014
01. Prozesstag – 17.03.2014

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