Prozess gegen Geflüchtete nach Polizeiangriff in Donauwörth

Pressemitteilung von „Culture of Deportation“ zum Urteil (Quelle):

Urteil des Amtsgerichts Augsburg legitimiert massive Polizeigewalt gegen Geflüchtete mit „Generalprävention“ – Solidarität und Protest wurden erneut kriminalisiert

Der Prozess gegen zwei Gambische Geflüchtete aus der EA Donauwörth vor dem Amtsgericht Augsburg war gestern an nebulöser Beweisführung und Generalkriminalisierung kaum zu überbieten. Das Gericht entschied, die Strafbefehle der zwei Gambischen Geflüchteten wegen angeblichem Landfriedensbruch in der EA Donauwörth in der Nacht zum 14.3.2018 zu bestätigen und hat sie zu achtzig und neunzig Tagessätzen à 10 Euro verurteilt. In ihrer Urteilsbegründung bezeichnete die Richterin Asylsuchende als “Gäste”, die sich dementsprechend zu benehmen hätten. Ihr Urteil beschrieb sie als notwendige Generalprävention, ein Maßnahme also, das andere Geflüchtete davon abhalten soll, ihre Rechte zu fordern und die Solidarität zwischen den Geflüchteten grundsätzlich kriminalisiert. Die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsäußerung der Bewohner*innen des EA Donauwörth in der Nacht zum 14.3.2018 stigmatisierte sie in ihren Kommentaren und Zwischenfragen wiederholt als “Zusammenrottung”.

Den Angeklagten konnte kein konkreter Tatbeitrag nachgewiesen werden. Der Richterin genügte die bloße Anwesenheit der beiden am Ort des Geschehens zur Verwirklichung eines Landfriedensbruchs. Selbst die Anwesenheit konnte durch die Zeug*innenaussagen nicht zweifelsfrei geklärt werden. Die deutlichen Widersprüche und Lücken in den Aussagen der Security-Mitarbeiter*innen, der Malteser und der Polizeibeamten wurden vom Gericht schlicht ignoriert. Stattdessen wurden sie wiederholt zu ihrem subjektiven Empfinden über eine mögliche Bedrohung durch die Bewohner gefragt. Im Besonderen wurde der Fragwürdigkeit der Methoden der Identifizierung, die laut den Anwälten tendenziös und nicht rechtmäßig waren, vom Gericht nicht weiter nachgegangen. Die Darlegungen der Anwälte dazu wurden von der Richterin als nicht ausschlaggebend zurückgewiesen.

Das Amtsgericht Augsburg führte das rassistisches Anvisieren von ausschließlich Gambischen Geflüchteten in der EA Donauwörth, sowie deren ungerechte und systematische Kriminalisierung durch Polizei und Staatsanwaltschaft konsequent weiter. Wiederholt drückten die vernommenen Security-Mitarbeiter*innen ihren Ärger über die Organisierung der Gambier in der EA Donauwörth aus, die Gleichbehandlung mit anderen Geflüchteten im Lager gefordert hatten. Damit wird klar, dass die eigentliche ‘Bedrohung’ die politische Arbeit der gambischen Community-Organisierung in der EA Donauwörth war.

Eine Auseinandersetzung mit der vorausgegangenen Polizeigewalt gegen die Geflüchteten in Donauwörth blieb aus. Vielmehr wurde deutlich, dass die anschließenden Festnahmen, die Untersuchungshaft, aber auch dieses Gerichtsverfahren allein der Einschüchterung der Geflüchteten und der Legitimierung des gewaltsamen Vorgehens seitens der Polizei diente.

Alle Zeug*innen bestätigten, entgegen der Anklage, dass die Geflüchteten nicht die Abschiebung eines gambischen Flüchtlings verhindern wollten. Es ging ihnen vielmehr darum, ihren Unmut über die unmenschlichen Bedingungen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Donauwörth zum Ausdruck zu bringen; ferner wollten sie sogar freiwillig das Land verlassen.

Die ausführlichen Einlass- und Identitätskontrollen vor dem Gerichtssaal, so wie die anfängliche Verweigerung des Einlasses von Geflüchteten, deren Ausweise von der Ausländerbehörde rechtswidrig als “ungültig” gestempelt worden waren, hat den staatlichen Rassismus nochmal deutlich gemacht. Eine der wichtigen Forderungen der gambischen Community in Donauwörth vor der Polizeirazzia am 14.3. war, die tagtäglichen rassistischen Polizeikontrollen von Schwarzen Menschen abzuschaffen und die damit verbundenen Sprüche der Polizei, dass sie nicht im Land sein dürften. Am Amtsgericht Augsburg führte der kontrollierende Polizeibeamte diese Praxis bei der Einlasskontrolle fort: “Den kann man doch dann gleich abschieben!”

Donauwörth ist kein Einzelfall. Ein ähnliches Muster der Kriminalisierung war u.a. in Ellwangen und Donaueschingen zu beobachten. Auch in dortigen Prozessen bestätigten die Gerichte die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft und versäumten es, sich kritisch mit den Einsätzen der Polizei auseinanderzusetzen.

Wir fordern sofortige Einstellung aller Verfahren gegen Geflüchtete aus Donauwörth und die Beendung der Polizeigewalt und der systemischen Kriminalisierung.

Wie kam es zum Prozess in Augsburg? (Quelle)

Der bayerische Staat setzt die strafrechtliche Verfolgung der Geflüchteten fort, die im März Opfer der Polizeirazzia in Donauwörth wurden. Gerichtsprozesse gegen die gambischen Geflüchteten, die Rechtsmittel gegen ihre ungerechten Strafbefehle eingelegt haben, werden am 7. November 2018 in Augsburg beginnen.

Am Nachmittag des 14. März erlebten die Bewohner*innen des Isolationslagers Donauwörth eine brutale Polizeirazzia als Folgemaßnahme zur Polizeipräsenz der vorherigen Nacht im Lager. Rund 200 voll bewaffnete Beamt*innen, darunter Bereitschaftspolizei, drangen mit Hunden in das Lager ein. 32 gambische Geflüchtete wurden mit massiver Brutalität inhaftiert. Zwei wurden noch am selben Tag freigelassen, während die anderen 30 für etwa zwei Monate in Untersuchungshaft waren. Die Polizei stigmatisierte sie als “Randalierer” und “Rädelsführer” und beschuldigte sie, in der Nacht vor der Razzia die Abschiebung einer Person im Lager gestoppt zu haben. Sie wurden mit zweifelhaften Listen identifiziert, die mit Hilfe des Sicherheitspersonals der Malteser erstellt wurden.

Die gambische Community in Donauwörth wies den Vorwurf, die Durchsetzung der nächtlichen Abschiebung behindert zu haben, als offensichtlich unbegründet zurück. Es wurde bestätigt, dass es keinen Widerstand gegen die Polizei gab. Die Polizei erschien im Lager, um einen Gambier wegen einer Abschiebung zu verhaften, der sich in dieser Nacht jedoch weder in seinem Zimmer noch an einem anderen Ort im Lager befand. Die Bewohner*innen verschiedener Nationalitäten stellten einfach das Verhalten der Polizei in Frage, die zufällig an Türen klopfte, und sie auf der Suche nach der Person weckte. Der Feueralarm wurde ausgelöst, der weitere Bewohner*innen aufweckte und sie aufforderte, sich in Sicherheit zu bringen.

Dass die Razzia am nächsten Tag sich ausschließlich gegen Gambier richtete, ist ein offensichtlicher Akt des institutionellen Rassismus. Es besteht kein Zweifel, dass die Razzia darauf abzielte, die Community-Organisation der gambischen Geflüchteten in Donauwörth zu schwächen.

Die verhafteten Geflüchteten wurden wegen unbegründeter Vorwürfe des Landfriedensbruchs und in einigen Fällen wegen Körperverletzung, Beleidigung und Widerstandes gegenüber Polizist*innen für zwei Monate inhaftiert. Mitte Mai wurden sie aus der Untersuchungshaft freigelassen, jeweils mit einem Strafbefehl auf der Grundlage dieser Vorwürfe. Viele wurden dazu gedrängt, den Strafbefehl mit Unterschrift zu akzeptieren, um frei zu kommen, ohne den aber zu verstehen oder über ihre Beschwerderechte informiert zu werden. Die unter 21-Jährigen wurden ohne weitere Strafe freigelassen, wurden aber für schuldig erklärt. Die zweimonatige Isolation in Untersuchungshaft unter schwierigen Bedingungen wurde in ihrem Fall als ausreichende Strafe erklärt. BAMF und die Zentrale Ausländerbehörde Schwaben schlossen sich diesen Manipulationen an, indem sie fragwürdigerweise die Dublin-Frist für viele Betroffene von 6 auf 12 Monate verlängerten – aufgrund ihrer Inhaftierung. Die Gruppe wurde weiter mit Dublin-Abschiebungen verfolgt – im Einklang mit der anhaltenden deutschen Abschiebekultur. Einige wurden bereits aus dem Gefängnis nach Italien in ein Leben auf der Straße abgeschoben, viele andere kurz nach ihrer Entlassung.

Aufgrund dieser skrupellosen Zusammenarbeit zwischen der Strafjustiz und dem Asylsystem ist es nur einer Handvoll der kriminalisierten Geflüchteten gelungen, rechtliche Schritte gegen die Strafbefehle zur Verteidigung vor Gericht einzuleiten. Einige der Abgeschobenen hatten einen anhängigen Einspruch gegen ihren Strafbefehl.

Mitglieder der Refugee Community Donauwörth und Arbeitsgruppe Culture of Deportation

Rechtslage (Deutschland)

§ 125 StGB Landfriedensbruch (Auszug)

(1) Wer sich an,

  1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder
  2. Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit,

die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

§ 185 StGB Beleidigung

Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Beleidigung mittels einer Tätlichkeit begangen wird, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Ort und Termine

Amtsgericht Augsburg

Gögginger Str. 101,

86199 Augsburg

1. Prozesstag: Mi., 07.11.2018 ab 13:00 – ca. 16:00

ab 11:30 Solidaritätskundgebung vor dem Gericht

weiterführende Informationen:

Hoffnung statt Handschellen (ak 642, 16.10.2018)

Wie Donauwörth ein furchterregender Ort wurde (ak 640, 21.08.2018)

Stellungnahme zur Polizeigewalt von Solidarity & Resistance

Spenden für die Betroffenen:

Bayerischer Flüchtlingsrat
Bank für Sozialwirtschaft
IBAN: DE89 7002 0500 0008 8326 02
BIC: BFSWDE33MUE (München)
Verwendungszweck “Donauwoerth”

Kontakt

Verein prozess.report
Schottenfeldgasse 55/3
AT-1070 Vienna prozessreport@systemli.org
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