Rechtsextremismus vor Gericht

In den letzten Jahren haben wir immer wieder Prozesse gegen rechtsextreme Einzelpersonen und Gruppierungen begleitet. Dabei handelte es sich oftmals um Verfahren gegen das Verbotsgesetz oder der Verhetzung.

Prozess.report hat es sich zur Aufgabe gemacht Hintergründe und Vernetzungen von Angeklagten von Gerichtsprozessen in Österreich für die Öffentlichkeit aufzuarbeiten. Gerade ist unsere Broschüre zur Europäischen Aktion erschienen.

Unsere Kritik im Umgang der Jusitz (und anderen staatlichen Akteur*innen) mit Rechtsextremismus und der Berichterstattung über solche Gerichtsverfahren wurde zuletzt im FIPU Band 4 veröffentlicht. Unser Beitrag setzt sich mit der journalistischen Verantwortung auseinander, wie und in welcher Form über Gerichtsverfahren berichtet werden kann bzw. sollte. Denn oftmals sind Journalist*innen die einzigen Personen die von Gerichtsprozessen erfahren und folglich auch darüber berichten können. Gerichtstermine sowie die Inhalte der Verfahren sind oftmals für Lai*innen nicht verständlich. Daher braucht es Strategien für einen verantwortungsvollen Journalismus, der einen umfassenden Einblick in die Arbeit der Justiz gibt aber auch kritisch damit umgeht.

Übersicht zur Berichterstattung von Gerichtsprozessen

zusammengefasst von MALMOE – Ausgabe 97

▷ Rechtsextreme Gewalt muss benannt, sichtbar gemacht und ernst genommen werden. Dies zu fördern, ist unter anderem Aufgabe kritischer Prozessberichterstattung, gerade weil die zuständigen Ermittlungsbehörden und Gerichte ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkommen.

▷ Betroffenen wird vor Gericht oftmals weniger geglaubt. Ihre Schilderungen werden als emotionalisiert und nicht relevant abgetan, und so finden sie in Prozessen wenig Gehör. Eine kritische Berichterstattung muss dem entgegenarbeiten.

▷ Taten werden bei Gericht als Einzelfälle verharmlost, Netzwerke und Kontinuitäten ausgeblendet. Journalismus muss die größeren Kontexte in den Vordergrund rücken.

▷ Eine tiefergehende Recherche ist unerlässlich, um Pauschalisierungen und Vereinfachungen, die zu unreflektiertem Übernehmen der Schilderungen der Beschuldigten führen, etwas entgegenzusetzen. Daneben braucht es eine kritische Auseinandersetzung mit den Deutungsmustern der Ermittlungsbehörden und Gerichte sowie eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftspolitischen Ursprüngen und Auswirkungen solcher Taten.

▷ Taten, Ermittlungen und Verfahren nachverfolgen und bei Gericht und Staatsanwaltschaften direkt um Termine von anstehen- den Verfahren anfragen. Meist wird über die Tat und den Start der Ermittlungen berichtet, aber nur in seltenen Fällen auch über die Ermittlung, das Verfahren oder das Urteil. Über Verfahrenseinstellungen wird zudem äußerst selten berichtet. Entsprechende Recherchen und Berichte würden aber eine wichtige öffentliche Funktion von Kontrolle und Aufklärung erfüllen, egal, ob es ein Urteil gibt oder die Einstellung folgt.

▷ Journalist_innen können längere Verfahren nicht gänzlich begleiten. Die wenigsten Medienhäuser können sich Mitarbeitende leisten, die dauerhaft für Prozessberichterstattung zuständig sind. Daher braucht es eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe der unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen (Betroffenen-)Initiativen mit kritischen Journalist_innen und (Medien-)Aktivist_innen, um unabhängig, kontinuierlich und umfassend berichten zu können.

▷ Freisprüche führen erfahrungsgemäß zu einer Legitimierung rechtsextremer Gewalt.

▷ Zeit für Recherche einplanen. Wie bei allen Rechtsmaterien wird die Recherche widersprüchliche Ergebnisse liefern, Auskünfte von Polizei, Politik, NGOs, Rechtsanwält_innen und Expert_innen klaffen möglicherweise auseinander, und die Positionen zu vergleichen, nimmt entsprechende Zeit in Anspruch.

▷ Platz für Widersprüche lassen. Widersprüchliche Auskünfte müssen nicht zwangsläufig aufgelöst werden, sondern können nebeneinander stehen bleiben.

▷ Oft sind es Vertreter_innen der Nebenklage, die in gut recherchierten Beweisanträgen den politischen Hintergrund der Taten und der Täter und Täterinnen thematisieren und auf die gesellschaftliche Dimension des Verfahrens hinweisen.

▷ Nebengesetze mitdenken. Es wäre wünschenswert, der Fokussierung auf das Verbotsgesetz nicht weiter Vorschub zu leisten. Anfragen an die Polizei könnten um Nebengesetze erweitert werden, was nicht zuletzt auch Bewusstsein bei der Exekutive schafft.