Zwischenbericht – Prozess gegen die „Anatolischen Föderation Österreich“

„Antifaschismus ist kein Verbrechen, sondern Pflicht!“ – diesen Satz liest das Publikum auf dem Rücken der Zweitangeklagten, während diese am 26.02. von der Richterin ausführlich befragt wird. Er veranschaulicht worum es in diesem Prozess geht. Gelten die Aktivitäten der hier Angeklagten dem Gericht als legitimer Protest oder dienen sie dazu, Ziele einer terroristischen Vereinigung zu fördern?

Befragung des Erstangeklagten am 26.02.2019 / CC BY-NC prozess.report

Der Saal 303 im Wiener Landesgericht für Strafsachen ist bis zum letzen Platz gefüllt. Viele solidarische Beobachter_innen sind der Einladung der sechs Angeklagten der „Anatolischen Föderation Österreich“ gefolgt und sorgen für eine kritische Öffentlichkeit. Den vier, vor Gericht anwesenden, Beschuldigten wird vorgeworfen, sich nach §287b Absatz 2, der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, strafbar gemacht zu haben. Es geht um angebliche Unterstützungsleistung für die türkische DHKP-C. Konkret werden ihnen von der Staatsanwaltschaft das „Veranstalten und Organisieren von Kundgebungen und Zusammenkünften zwecks Verherrlichen von DHKP-C Attentätern und das Verbreiten von Propagandamaterial“, vorgeworfen.

Mehr Information über die angelasteten Vorwürfen haben wir in unserer Übersicht zusammengefasst.

In den ersten zwei Prozesstagen blieb die zentrale Frage, inwieweit die Angeklagten als „legaler Arm“ der DHKP-C fungiert haben sollen, unklar. Es wurden vermeintliche Propagandahandlungen diskutiert, konkrete Verbindungen konnten nicht aufgezeigt werden. Als Propagandahandlungen sieht das Gericht beispielsweise den 1.Mai Aufmarsch 2015, das Vertreiben der türkischen Wochenzeitung „Yürüyüş“, das Organisieren von Konzerten, Gedenkveranstaltungen oder Fußballturnieren. 

Gemeinsam mit ihrer Verteidigung argumentieren die Angeklagten gegen die ihnen angelasteten Vorwürfe. Die Kritik an der Anklage fiel sehr deutlich aus, zu unkonkret sind die Anschuldigungen, etwa bezüglich verschiedener Konzerte der türkischen Band „Grup Yorum“. So sollen in deren Liedtexten „oftmals Attentäter der DHKP/C gehuldigt und über deren Leben, Tod sowie Taten gesungen [werden]“. Doch Belege oder konkrete Beispiele für die vorgeworfen Inhalte wurden bisher nicht vorgebracht.
Während die Zweitangeklagte und ihr Verteidiger ganz deutlich von einem Schauprozess sprechen, in dem über Deutschland als verlängerter Arm der Türkei agiert wird, um politische Einstellung der Angeklagten zu diskreditieren und versucht wird, legalen Protest in Österreich zu kriminalisieren, betreffen die Fragestellungen der vorsitzenden Richterin vor allem die legalen Vereinstätigkeiten der Beschuldigten. Darum kontert die Verteidigung mit der Tatsache, dass der bereits 2004 gegründete Verein bisher völlig legal in Österreich arbeitet. „Offensichtlich hat die Vereinsbehörde keinen Anlass gefunden den Verein aufzulösen, mann muss also davon ausgehen dass der Verein nicht gegen die Strafgesetze verstößt“, so Anwalt Michael Dohr. Um dies zu beweisen, ist für die Folgetage ein_e Vertreter_in der Vereinsbehörde der LPD Wien geladen.

Die Angeklagten werden immer wieder gefragt ob sie ausgewählte, der DHKP-C zugeordnete, Personen kennen und was sie von deren Attentaten halten. Darauf fallen die Antworten ausführlicher aus. Den vier Beschuldigten ist es wichtig, die politischen Verhältnisse in der Türkei zu berücksichtigen, die in den Fragestellungen des Gerichts sonst außer Acht gelassen werden „Ich bin Kurdin, Alevitin und Revolutionärin. Ich bin heute hier, weil meine Dörfer niedergebrannt wurden. Natürlich bin ich hier um einen Kampf abzuhalten. In der Türkei findet der Kampf vielleicht mit Waffen und Gewalttätigkeit statt, aber ich möchte hier meinen eigenen Kampf führen.“, sagt zum Beispiel die Zweitangeklagte. 

Die zentrale Fragestellung ist jedoch, inwiefern die durchgeführten Veranstaltungen, Konzerte, Demonstrationen und Gedenkfeiern der Terrorismus-Propaganda dienten und ob es wirklich ein Naheverhältnis beziehungsweise ideologische Übereinstimmungen mit der DHKP-C gibt. Die Angeklagten versuchen immer wieder aufzuzeigen, dass es einer differenzierten Einordnung ihrer politischen Ansichten innerhalb eines Kontextes bedarf, der eine Vielzahl von Organisationen umspannt. Diese Differenzierungen der türkischen/alevitischen/kurdischen Polit-Szenen scheinen dem Gericht nicht klar zu sein, noch nimmt es sich bisher die Zeit, diese im Sinne der Wahrheitsfindung zu verstehen. Ein Beisiel dafür ist die Einordnung der „Halk Cephesi“, was übersetzt „Volksfront“ bedeutet, die laut Anklage als der militärische Arm der DHKP-C gilt, laut den Angeklagten aber eine soziale, demokratische Organisation ist, die legal in der Türkei agiere.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass zum ersten Mal in Österreich linke Aktvist_innen wegen des Vorwurfs der Terrorismusunterstützung vor Gericht stehen. Dies sollte auch nicht ohne die bisherige Strafverfolgung, wie etwa in Deutschland, betrachtet werden. Vielen im Publikum ist die Brisanz des Geschehens bewusst, sie kennen die Personen, die aufgrund ihres Aktivismus, ihrer journalistischen oder wissenschaftlichen Tätigkeiten in der Türkei verhaftet wurden und sehen den Zusammenhang mit dem, was gerade hier in Wien passiert. Eine weitere kritische Beobachtung und Berichterstattung, nicht nur in diesem Verfahren, ist notwenig.

Der Prozess wird am 06. und 08.03. mit den Befragungen von Zeug_innen fortgeführt, ein Urteil ist bereits am 12.03. möglich. Wir werden den Prozess weiter kritisch beobachten und darüber berichten.

Berichterstattung