Am 15. März fand der erste Verhandlungstag im Prozess gegen sechs Geflüchtete statt, deren Zelle im Abschiebegefängnis Hernals letzten September gebrannt hatte. (mehr Informationen hier)
Den sechs Geflüchteten wird nun versuchte Brandstiftung und Gefährdung der körperlichen Sicherheit von weiteren im Polizeianhaltezentrum befundenen Personen vorgeworfen, sie sollen einen Sachschaden von über 60.000 Euro verursacht haben. Drei Wachbeamt_innen, die leichte Verletzungen erlitten haben sollen, schließen sich dem Verfahren als Privatbeteiligte an und fordern insgesamt rund 10.000 Euro von den Beschuldigten. Verhandelt wird vor einem Jugendgericht und unter Beteiligung von Schöff_innen.
Im Gerichtssaal befinden sich an diesem Freitag Morgen die sechs Geflüchteten und ihre Anwält_innen, unter den Zuschauer_innen sind zahlreiche Angehörige, Freund_innen und solidarische Beobachter_innen sowie Journalist_innen, daneben die Justiz-Akteur_innen und ein raumgreifendes Aufgebot an bewaffneten Justizwachebeamt_innen.
„Gute Nachrichten, er ist nicht nur illegal nach Deutschland, er ist zweimal verurteilt wegen Schlepperei“, hält Richterin Skrdla beim Feststellen der Personalien einem der sechs Geflüchteten vor, denen am 15. März am Wiener Landesgericht der Prozess gemacht wird. Gleich zu Beginn des Prozesses führt Skrdla das Thema ein, das längst nicht nur implizit verhandelt wird: Dass die Einhaltung nationaler Grenzregime absolut gesetzt ist, ganz anders als die Unversehrtheit des Lebens von Flüchtenden, wird an diesem Tag viele Male Kernbotschaft der anwesenden Justiz-Akteur_innen sein. Von den sechs Geflüchteten wird wiederum die Grausamkeit dieser Grenzregime und ihr Wunsch, an einem selbst gewählten Ort zu leben, thematisiert. Dass das Thema Grenzregime unter der Oberfläche mitverhandelt wird, ist alles andere als ungewöhnlich für Gerichtsprozesse. Schockierend ist jedoch der Zynismus, mit dem Justiz-Akteur_innen den Angeklagten beinahe vorhalten, nicht ausreichend Vorkehrungen getroffen zu haben, um im Feuer zu sterben. Den Angeklagten, die sagen, sie wollten nicht sterben oder hatten jedenfalls die Hoffnung zu überleben, halten Richter_innen und Staatsanwalt genau dieses vor.
Nach der Feststellung der Personalien skizziert Staatsanwalt Bohé die Version der Geschichte, auf der die Anklage aufbaut: Eine Inszenierung, ein abgestimmter Plan, der Versuch des Auslösens einer Feuersbrunst, die – das muss der Staatsanwalt selbst einräumen – keineswegs zustande gekommen ist.
Die sechs Angeklagten werden gefragt, wie sie zu den Anklagepunkten stehen, und an dieser Stelle des Prozesses findet erstmals eine Dolmetschung statt. Die Sechs plädieren unterschiedlich auf „nicht schuldig“, „teilschuldig“ und „schuldig“, in ersten Statements der Anwält_innen werden unterschiedliche Verteidigungslinien sichtbar.
Als nächstes werden die sechs Angeklagten nacheinander einzeln vernommen: zum Ablauf des Geschehens; zu den Fragen, wer das Feuer ausgelöst hat; ob Selbstmord oder Protest bzw. Inszenierung der Plan waren; von wem die Idee zum Feuer kam und dazu, inwiefern den Angeklagten die mögliche Gefahr für andere im Gebäude bewusst gewesen war. Es sind immer dieselben oder recht ähnliche Fragen der Richterin an die Angeklagten, nach ihr und dem beisitzenden Richter stellen Staatsanwalt, Schöff_innen, der Reihe nach alle sechs Anwält_innen ebenfalls Fragen. Herr U. (Nachname geändert). wird als erstes vernommen, die anderen fünf werden aus dem Saal abgeführt. Herr U. spricht auch über die Abschiebung nach Afghanistan, die ihm bevorstand. „Ich habe zehn Mal um Asyl angesucht, und zehn Mal habe ich einen negativen Bescheid bekommen, nur weil ich Cannabis geraucht habe“, sagt Herr U. Und, dass er keinen Ausweg gesehen hätte, als sich selbst zu töten. Warum er dann nicht das zweite Fenster auch geschlossen hätte, fragt die Richterin. „Und warum nicht die letzten Tage genießen, sondern sich umbringen, [warum nicht] ein bisschen Musik hören, ein bisschen Karten spielen mit den Arabern, ein bisschen was rauchen“, fragt sie weiter und macht mit diesem Statement deutlich, dass sie sich weder mit den Zuständen in Abschiebegefängnissen auseinandergesetzt hat, noch Interesse zeigt zu verstehen, was eine bevorstehende Abschiebung bedeutet.
Dieselbe Linie, denselben zynischen Ton wählt auch der beisitzende Richter: „Es ist vielleicht makaber, aber was haben Sie denn geglaubt, wie Sie sterben werden?“ Herr U. betont, dass keinesfalls andere Leute im Gebäude in Gefahr gebracht werden sollten. Er versucht, seine Lage deutlich zu machen: „Ich hab einige Male gesagt, schiebt mich nicht ab, lasst mich frei, lasst mich in ein andres Land gehen.“ Einer der Verteidiger fragt Herrn U., ob er traurig oder glücklich war, als er im Krankenhaus aufgewacht ist. Die Richterin fragt nach: „Aber worüber war er traurig? Weil er Schmerzen hatte, oder weil‘s nichts geworden ist mit dem Umbringen?“
Auch Herr W. (Name geändert) muss sich dafür verantworten, dass er überlebt hat. Der beisitzende Richter fragt, wieso er „nur eines gemacht [hat], nur das Feuer gelegt, nicht sich durch Klingen selbst verletzt“, und ob es nicht doch sein könne, dass die Rettung das Ziel war – nicht, sich das Leben zu nehmen.
Herr W. versucht, den Justiz-Akteur_innen seine Situation verständlich zu machen: „Ich hatte das Interview, ich habe eine Woche danach den Abschiebebescheid bekommen, darin stand das Abschiebedatum. Ich konnte keinen Gedanken fassen, wusste nicht, was passieren wird.“ Herr W. betont: „Diese Entscheidung, die sie für mich gefällt haben, ist für mich unakzeptabel“. In seiner und anderen Befragungen ist davon die Rede, den eigenen Tod in Kauf zu nehmen, in Hoffnung auf Rettung. In Hoffnung darauf, „dass ich mein Leben hier fortsetzen und hier ein Leben führen kann“.
Der Prozesstag endet während der Befragung des vierten Angeklagten. Am 22.3. wird der Prozess fortgesetzt, die weiteren Angeklagten und die Zeug_innen werden befragt. Ob bereits mit einem Urteil zu rechnen ist, bleibt abzuwarten.
Eine weitere Zusammenfassung zum ersten Prozesstag findet sich auf dem Blog der Solidaritätsgruppe.