Verurteilung nach Polizeigewalt bei Klimaprotest

Der Verfahrenskomplex um die rechtswidrige Verhaftung und die Gefährdung der Sicherheit des Aktivisten und Journalisten Anselm Schindler im Mai 2019 ist nun abgeschlossen. Am 20. April 2022, also fast drei Jahre später, wurde nun ein weiterer Polizist rechtskräftig verurteilt.

Was ist passiert?

In diesem Verfahren ging es um jenen Polizisten, welcher den Polizeibus lenkte, der Anselm Schindler In diesem Verfahren ging es um den Lenker des Polizeibuses, der Anselm Schindler fast über den Kopf fuhr. Ihm wurde Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gemäß § 89 StGB vorgeworfen. Bereits im Oktober 2021 wurde der Polizist am BG Innere Stadt zu einer Geldstrafe von EUR 2.250,- verurteilt. Gegen das Urteil legte der Polizist Berufung ein, die am 20. April 2022 am Wiener Straflandesgericht verhandelt wurde. Im Wesentlichen wurde die Berufung abgewiesen, womit das Urteil aus dem Oktober 2021 nun rechtskräftig ist. Zuvor hatte der Angeklagte eine Diversion, also eine Einigung ohne Einleitung eines ordentlichen Strafverfahrens, abgelehnt.

Der angeklagte Polizist begleitete am 31. Mai 2019 als Teil der Ordnungsdiensteinheit zunächst die angemeldete Demonstration von Fridays For Future und wurde später zu der unangemeldeten Blockade vor der Urania beordert. Dort sollte er mit anderen Polizeibussen eine Sperrkette bilden, sodass Sympathisant*innen, sowie Journalist*innen und Blockadeteilnehmende getrennt würden. Schindler, der sich dem Verfahren auch als Privatbeteiligter anschloss, war nicht Teil der Blockade sondern beobachtete die Situation und berichtete via Twitter live von der Räumung der Sitzblockade. Im Zuge dessen geriet er in eine Diskussion mit einem der Polizisten, welche die Blockade von den Sympathisierenden trennen sollten. Schließlich wurde der Aktivist von diesem Polizisten aus der Menge gezerrt und hinter der Kette aus Polizist*innen zu Boden gebracht. Als er auf den Bauch gedreht wurde, landete sein Kopf unter dem Polizeibus, welcher vom Angeklagten gelenkt wurde. Im letzten Moment zogen die Polizisten den am Boden fixierten Schindler vom Bus weg, der sich in Bewegung setzte. Die dazu veröffentlichen Videos sorgten für Kritik und entfachten eine erneute Debatte über Polizeigewalt.

In einem vorangegangenen Verfahren wurden die Verhaftung und die folgende Anhaltung bereits für rechtswidrig erklärt, da Schindler kein Verhalten gezeigt hatte, das diese Maßnahmen gerechtfertigt hätte. Diese Maßnahmenbeschwerde wäre ohne der zahlreichen Videos von dem Vorfall kaum erfolgreich gewesen. Deshalb kam es auch im Jänner 2022 zur Verurteilung eines Polizisten durch das Wiener Straflandesgericht, dessen Falschaussage durch die zahlreichen Videos aufgedeckt wurde.

Zurück zum Lenker: Der Angeklagte gab an, dass er zusammen mit mehreren anderen Polizeibussen eine Sperrkette bilden sollte. Der Motor seines Fahrzeugs sei dabei immer gelaufen. Ein Vorgesetzter hätte ihm immer wieder gewunken, wenn er zu den anderen Polizeibussen vor ihm aufschließen sollte. Auf diesen Vorgesetzten berief sich der Angeklagte auch in seiner Begründung, warum er es nicht für notwendig hielt, genauer nachzusehen, was sich im Umfeld seines Wagens abspielte. Der Einweiser hätte seiner Meinung nach wohl nur gewinkt, wenn ein Anfahren gefahrlos möglich gewesen wäre. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Privatbeteiligtenvertreter verwiesen jedoch darauf, dass es sehr wohl in der Verantwortung des Lenkers läge, sich vor dem Anfahren zu vergewissern, dass er dabei nicht Andere gefährde.

Hinzu kommt, dass aus mehreren Videos ersichtlich ist, dass der Angeklagte vor dem Losfahren zwei mal aus dem Polizeibus nach hinten sah. Dies gab der Polizist auch zu, jedoch hätte er nicht gesehen, was genau neben bzw. unter dem Bus passierte. In der Berufungsverhandlung betonte die Richterin, dass dem Fahrer sehr wohl hätte auffallen müssen, dass es zu einer Amtshandlung in unmittelbarer Nähe zu seinem Fahrzeug gekommen war. Schließlich hatte er auch ausgesagt, dass er zwei weitere Polizisten neben dem Bus hatte knien sehen. Dadurch sei sein Anfahren, ohne vorher nachzufragen, fahrlässig gewesen.

Urteil

Der Angeklagte wurde in erster Instanz zu 50 Tagessätzen á EUR 45,-, also insgesamt EUR 2.250,- verurteilt. Zusätzlich wurde dem Privatbeteiligten ein symbolischer Schadenersatz in Höhe von EUR 100,- gewährt. Das Berufungsgericht folgte der Meinung des Erstgerichts und wies die Berufung zurück. Lediglich der Privatbeteiligtenanspruch wurde aufgehoben und Anselm Schindler auf den Zivilrechtsweg verwiesen, da dieser Anspruch laut Rechtsprechung im Wege einer Amtshaftungsklage geltend gemacht werden müsste. Dabei haftet der Staat für Schäden, die seine Organe (also etwa Polizist*innen) in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit verursachen.

Die Richterin betonte, dass bereits in erster Instanz eindeutig und ohne Zweifel festgestellt wurde, dass der Angeklagte die Amtshandlung direkt neben bzw. unter seinem Fahrzeug mitbekommen hatte. Daran würde auch das zweifelhafte Sachverständigengutachten, wonach der Polizist den unter dem Wagen liegenden Festgenommenen nicht hätte sehen können, nichts ändern. Jenes Gutachten hatte der Angeklagte erst in der Verhandlung erster Instanz selbst vorgelegt. Auch sei auf den Videos vom Vorfall zu sehen, wie der Angeklagte zwei Mal nach hinten blickte, bevor er unvermittelt losfuhr. Der in einem der Videos zu erkennende, laut Richterin „verzweifelte“ Blick von einem Polizisten, der an der Festnahme Schindlers beteiligt war, hätte außerdem bestätigt, dass das Anfahren durch den Angeklagten äußerst überraschend passierte. Bereits der Richter in erster Instanz hatte das Verhalten des Angeklagten als „Lehrbuchbeispiel“ für den § 89 StGB bezeichnet.

Fazit

Der Betroffene kritisierte in einer Presseaussendung: „Dass der Polizist, der mich fast absichtlich überfahren hat, mit einer kleinen Geldstrafe davonkommt, ist unfassbar“. Bedenkt man die akute Lebensgefahr in jener Situation, erscheint die Geldstrafe in Höhe von EUR 2.250,- als zu gering. Auch, dass die Anklage lediglich auf fahrlässige Gefährdung der körperlichen Sicherheit lautete, sorgt für Empörung. Schließlich stellte selbst das Gericht fest, dass dem Angeklagten bewusst sein musste, dass es zu einer Amtshandlung unmittelbar neben bzw. unter seinem Fahrzeug kam. Die Anklage kommt einer Verharmlosung gleich, die äußerst milde Geldstrafe kann wohl kaum als „abschreckendes Beispiel“ – wie in der ersten Instanz vom Staatsanwalt behauptet – angesehen werden.

Auch die lange Verfahrensdauer von fast drei Jahren ist zu kritisieren, da so die Betroffenen von Polizeigewalt immer wieder aufs Neue mit den traumatischen Erfahrungen konfrontiert werden. Gleichzeitig wird der Verurteilte weiterhin im Polizeidienst bleiben können. Erst eine ein Jahr übersteigende Freiheitsstrafe ist mit Amtsverlust verbunden.

In der Urteilsbegründung am Straflandesgericht hob die Richterin hervor, dass sie durchaus Verständnis für die angespannte Lage bei einem Einsatz auf einer Großdemonstration habe. Insbesondere, da sich diese in den vergangenen zwei Jahren häufen würden. Mit diesem unzulässigen Vergleich setzte sie die Demonstrationen von Coronaverharmloser*innen und gewaltbereiten Rechtsextremen mit jenen der Klimabewegung gleich. Dieses Verfahren beweist einmal mehr, dass es nur aufgrund der zahlreichen Videos zu einer Verurteilung des Polizisten kam. Viel zu oft wird den Betroffenen von Polizeigewalt vor den Gerichten nicht geglaubt, somit ist auch die Verurteilung von Polizistinnen eine Seltenheit.

Weitere Vorwürfe wegen Polizeigewalt

Während der Verhandlung fand vor dem Gericht eine Solidaritätskundgebung von Klimaaktivist*innen statt, bei der auch jener Mann sprach dem im Mai 2019 unter anderem mehrere Faustschläge in die Nierengegend versetzt wurden. Er erhob ebenfalls damals Beschwerde wegen Polizeigewalt, die Verurteilung zweier beteiligter Polizisten ist nach wie vor nicht rechtskräftig. Auch in diesem Fall musste erst der Betroffene für sein Recht vor Gericht ziehen. Auch in diesem Fall sind die beteiligten Polizisten nach wie vor im Dienst.

Bei beiden Räumungen der Lobaubleibt-Besetzungen im Februar und April 2022 erhoben Aktivist*innen mehrfach Vorwürfe wegen Polizeigewalt, sowie wegen unwürdiger Behandlung im Polizeianhaltezentrum.

Gewalt durch Polizei und Justizwache hat System. “Vorfälle wie diese müssen aufgeklärt werden und dafür braucht es eine unabhängige Dokumentationsstelle für Polizeigewalt – denn bisher können polizeiliche Übergriffe nur an einer Stelle angezeigt werden: bei der Polizei selbst,” so Lena Schilling, Sprecherin von Jugendrat und LobauBleibt in einer Presseaussendung.