Verwaltungsstrafen nach Blockade

Am 16.01.2021 kam es erneut zu einer Demonstration tausender Coronaleugner*innen, Verschwörungsideolog*innen und Teilen der extremen Rechten in Wien. Das Nicht-Durchsetzen der damaligen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie durch die Polizei wurde vielfach kritisiert. Der Umgang mit dem linken Gegenprotest fand jedoch kaum öffentliche Erwähnung, beziehungsweise wurde er, ebenso wie der gesamte Polizeieinsatz an dem Tag mittels Anfragebeantwortung durch den Innenminister legitimiert.

Doch was ist passiert?

Für 13:00 mobilisierten unterschiedliche linke Gruppen unter dem Motto: „Corona ist das Virus – Kapitalismus ist die Krise! Für einen solidarischen Lockdown!“ zu einem eigenen Demonstrationszug, der sich explizit gegen die Beteiligung von rechtsextremen Personen und Ideologien der seit Monaten stattfindenden verschwörungsideologischen „Corona-Proteste“ richtete. Obwohl die linke Demonstration von vornherein durch die Polizei eingeschränkt und von einem Großaufgebot an Exekutivbeamt*innen begleitet wurde, versammelten sich mehr als 800 Antifaschist*innen um lautstark vom Stephansplatz zum Ballhausplatz zu marschieren.

Gegen 14:30 begaben sich die Teilnehmenden der verschwörungsideoligischen Standkundgebungen am Maria-Theresien-Platz und Heldenplatz auf den Wiener Ring um ihren Demonstrationszug zu starten. Beim Schwarzenbergplatz musste dieser Aufmarsch jedoch gestoppt werden, da sich kurz nach 15:00 auf Höhe Stadtpark spontane Blockaden bildeten. Unterschiedliche Personengruppen stellten sich mit Transparenten auf die bereits abgesperrte Ringstraße und skandierten Parolen gegen den sich nährenden Aufmarsch.

Was sich danach abspielte und vor allem wie die Polizei mit diesem spontanen, antifaschistischen Protesten umgegangen ist, beschäftige am 17.09.2021 das Verwaltungsgericht Wien, da eine an der Blockade beteiligte Person gegen das von der LPD Wien verhängte Straferkenntnis Beschwerde eingelegt hatte.

Der antifaschistischen Gegenprotest wurden von der Polizei gewaltsam aufgelöst um den bereits angehaltenen verschwörungsideologischen Demonstrationszug wie geplant über den Ring zu geleiten.

Vor Gericht ging es nicht um die stattgefundene Polizeigewalt sondern um die Frage ob die Blockade als spontane Versammlung zu werten war und das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren einzustellen sei.

Vorwurf laut Straferkenntnis

§ 76 Abs. 1 StVO: Sie haben als Fußgänger den vorhanden Gehsteig nicht benützt.

§ 81 Abs. 1 SPG: Sie haben das Kreuzungsplateau betreten, sich auf die Fahrbahn der Ringstraße gesetzt und haben einen sogenannte Sitzblockade abgehalten, wodurch der Ablauf einer Versammlung gestört und der Fahrzeugverkehr bzw. der herannahende Demonstrationszug zum Thema „Corona und die Wirtschaftszerstörung“ am Weitergehen gehindert wurde. Sie sind der mehrmaligen Aufforderung der Sitzblockade unverzüglich aufzulösen, nicht nachgekommen und haben die Örtlichkeit trotz mehrmaliger Aufforderung nicht verlassen.

Mündliche Verhandlung

In der Beschwerde der Gegendemonstrantin wurde argumentiert, dass die vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen bereits durch die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, also vom Recht sich spontan zu versammeln gedeckt gewesen waren. Außerdem wird bemängelt, dass es von Seiten der Polizei unterlassen wurde, ausreichend festzustellen was die Beschwerdeführerin genau, wann getan hat. Bereits in der angefertigten Anzeige wirft man ihr zum Beispiel die Teilnahme an einer Sitzblockade vor, sie nahm jedoch an einer stehenden Blockade teil. Außerdem ergab auch die von ihr beantragte Akteneinsicht keinerlei Aufklärung, da Unterlagen der Polizei fehlten.

Die Beschwerdeführerin schilderte zu Beginn was am 16.01.2021 passiert ist: „Als wir uns damals versammelt haben, wurden wir relativ rasch von der Polizei mit Polizeihunden eingekesselt und wir wurden von den Beamten in die Seitengasse in die Weißkirchnerstraße gebracht, eine Lautsprecherdurchsage habe ich nicht wahrgenommen. Einige Personen wurden von den Beamten auch zur Seitenstraße getragen, ich selbst bin freiwillig mitgegangen, wobei ich dazu sagen muss, dass es mir nicht möglich gewesen wäre, den Ort ohne Identitätsfeststellung zu verlassen. (…) Die Einkesselung erfolgte sehr rasch, nachdem wir auf der Ringstraße waren.“

In der kurzen Verhandlung wurde nur ein Polizist geladen, dieser kam als Teil des Aufarbeitungsteams hinzu um die Identitätsfeststellungen der eingekesselten Personen durchzuführen. An die Beschwerdeführerin selbst könne er sich allerdings nicht mehr erinnern. Auf Nachfrage berichtete er davon, dass mehrfach mit Lautsprecher durchgesagt wurde, dass die Personen die Örtlichkeit verlassen sollen, das sogenannte TKF-Fahrzeug soll gleichzeitig mit ihm die Blockade erreicht haben. Außerdem gab er an, dass sämtliche Personen, die an der Gegendemonstration teilgenommen haben, natürlich die Möglichkeit gehabt hätten die Örtlichkeit freiwillig zu verlassen.

Seine Aussagen widersprechen teilweise den Wahrnehmungen der Beschwerdeführerin, auch auf weitere Nachfragen bleibt er bei seinen Schilderungen. Entscheidend für die vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen war jedoch der Versammlungscharakter der spontanen Blockade, selbst der Polizist sprach von Gegendemonstration und vom Unwillen der Personen die Örtlichkeit zu verlassen weil sich die Blockaden gegen den sich annähernden „Corona-Protest“-Zug richtete. Die verhängten Strafen und das von der Beschwerdeführerin geschilderte Verhalten der Polizei bei der Räumung der spontanen Gegenproteste, sprechen jedoch dafür dass man keinen Verstoß gegen das Versammlungsrecht sah, deshalb andere Strafen verhängte und die Versammlung nicht ordnungsgemäß auflöste bevor geräumt wurde.

Entscheidung

Die zuständige Richterin folgte den Aussagen des Polizisten was den Ablauf der Räumung der Blockade betraf, stellte jedoch eine unzutreffende rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes fest. Das Verhalten der Gegendemonstrantin war somit vom Versammlungsrecht gedeckt, da „eine Zusammenkunft mehrerer Menschen dann eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetztes dar[stellt], wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken zu bringen. (…)“

„Weder der Umstand, dass die Teilnehmer der Anzeigepflicht verletzend eine „Spontan-Versammlung“ organisierten, noch der Umstand, dass eine Erörterung des Versammlungszwecks mit Passanten womöglich unterblieb, steht der Qualifikation als Versammlung entgegen.“ (Quelle verlinken)

„Diese Gegendemonstration sowie die im Zuge dessen erfolgte Blockade sind daher vom verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht der Versammlungsfreiheit umfasst, zumal die Beschwerdeführerin dabei unzweifelhaft mit anderen Personen zu einem gemeinsamen Zweck und gemeinsamen Wirken zusammengefunden hat.“

Relevanz

hier kommt noch ein blablabla, warum schwurbis versammlungsrecht haben, gegenprotest aber das erst erstreiten muss

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Denn während Einzelpersonen mittels umstrittener Paragraphen angeklagt werden, betrifft die Kriminalisierung gesamte soziale Gruppen bzw. politischen Protest.