“Im Zweifel für den Angeklagten”. Jeder kennt diesen Spruch. Genauso das Bonmot: “Wo kein Kläger, da kein Richter.” Am 1. Februar 2024 endete im steirischen Leoben nach drei Verhandlungstagen ein Prozess bei dem es hätte heißen müssen: „Wo zu wenig Beweismittel, da keine Verurteilung.“ Denn wenn eines klar war, dann, dass hier während der Ermittlungen einige Fehler passiert sind. Aber der Reihe nach: was ist eigentlich passiert?

Am 11. September 2010 detonierte nachts ein Sprengsatz vor dem Eingang einer Unterkunft für Geflüchtete der Caritas. Verletzt wurde durch die unmittelbare Explosion – zumindest körperlich –niemand. In weiterer Folge verletzte sich jedoch ein Bewohner durch einen Sturz am Kopf, als er nachschauen wollte was passiert war. Dies war aber reines Glück, denn der Anschlag erzeugte eine Druckwelle, die von Zeuginnen noch 70 Meter weiter entfernt zu spüren war. Sie beschrieben die meterhohen Staubaufwirbelungen noch Jahre später eindrücklich. Teile des Sprengsatzes drangen ins Mauerwerk ein und blieben dort stecken. Im Oktober 2021, ließ das Bundesinnenministerium in einer Pressemeldung verlauten “Sprengstoffanschlag auf Asylunterkunft in Graz geklärt”.

Foto vom Gericht in Leoben, zu sehen ist vor allem die Steinmauer am Einfang mit der Beschriftung: Justizzentrum Leoben, Landesgericht Leoben, Staatsanwaltschaft Leoben, Bezirksgericht Leoben und links dem Bundeswappen / Adler
© Doku Service Steiermark

Doch nun stellte sich heraus, dass das nicht nur nicht stimmt, sondern, dass es im Zuge der Aufklärungsversuche zu zahlreichen Ermittlungspannen kam. Angeklagt waren 3 Männer im Alter von 28 bis 32 Jahren. Jene sollen Verbindungen zur damaligen rechtsextremen Szene in Mariazell gehabt haben, oder dieser selbst angehört haben. Angeklagt waren sie nicht nur wegen des Sprengstoffanschlags, sondern auch wegen einschlägiger Tätowierungen, Facebook-Postings, einer Hakenkreuzfahne im Kinderzimmer, sowie einer neonazistischen Parole – alles nach dem Verbotsgesetz wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung. Die Verhandlung selbst war schon ein fast filmreifes Event: so zog der Hauptangeklagte am ersten Verhandlungstag sein Geständnis zurück. Dies tat er mit der Begründung, er sei vom Verfassungsschutz so unter Druck gesetzt worden, dass er sich alles im Wesentlichen ausgedacht hätte. Wäre das nicht schon skandalös genug, so stellte sich auch noch heraus, dass es zu zahlreichen Ermittlungspannen im Zuge der Aufarbeitung des Falls gekommen war.

Behördenversagen nimmt kein Ende

So wurden etwa Haut und Haarspuren, welche am Tatort gefunden wurden, zwar als Beweismittel aufgenommen und mit den Resten der Bombe zur technischen Überprüfung übergeben, jedoch nicht auf DNA-Spuren untersucht. Zudem wurde ausgerechnet beim Hauptbelastungszeugen und Bruder des Zweitangeklagten kein DNA-Abgleich durchgeführt, obwohl letzterer die ganzen Ermittlungen ja erst wieder ins Rollen gebracht hatte, indem er den Erstangeklagten damals gegenüber einem LVT-Beamten identifiziert hatte. Bei der Auswertung des Materials einer Überwachungskamera, welche den möglichen Täter aufgezeichnet hatte, wurde damals keine Größenabschätzung vorgenommen. Da das im Video zu sehende Gebäude abgerissen wurde und die Originalaufnahmen nun auch fehlen, ist dies nicht mehr möglich. Weiters wurden Zeug*innenaussagen damals nicht protokolliert, oder der Name der aussagenden Person nicht aufgenommen. Originalbeweismaterial, unter anderem ein Mitschnitt des Geständnisses vom Erstangeklagten, war ebenfalls nicht mehr auffindbar. Die Folge dieser auch von der Verteidigung der Angeklagten bemerkten “Schlampereien” war ein dreifacher Freispruch in der Causa des Anschlags. Es kam zu zwei nicht rechtskräftigen Verurteilungen zu 15 bzw. 24 Monaten bedingter Haftstrafe wegen Tätowierungen, jeweils für den Erst- und Drittangeklagten.

Auch diesmal hat sich gezeigt, wie wichtig kritische und kontinuierliche Prozessbeobachtung ist. An dieser Stelle danken wir „Von Unten“ und „Doku Service Steiermark“ für die gemeinsame Beobachtung. Vieles war an diesem Prozess ungewöhnlich und machte uns teilweise sprachlos. Leider nicht ungewöhnlich war der verharmlosende Umgang mit der vorgeworfenen rassistischen Tat: dass es hier um das Leben von Menschen ging, geriet viel zu oft in den Hintergrund. Auch sprach man immer wieder von der „rechten Szene“ oder „rechten Jugendlichen“, die sich damals trafen, was angesichts der rechtsextremen bis neonazistischen Umtriebe in Mariazell entpolitisierend wirkte.

Die Perspektive der Betroffenen füllte in dem Fall nur ein Mitarbeiter der Caritas aus, für dessen Befragung nicht viel Zeit vorgesehen war. Er schilderte, wie verängstigt und eingeschüchtert man nach dem Anschlag gewesen sei und dass man zum Schutz einen Security beauftragte. Hinzu kamen immer wieder rassistische Begriffe, die an das Klima im Jahr 2010 erinnerten und längst überholt wirkten.Verhandelt wurde es als eine vereinzelte Tat von drei jungen Männern, doch, wie diese Recherche von „Stoppt die Rechten“ zeigt, war auch dieser Anschlag kein Einzelfall.

Innenministerium hüllt sich in Schweigen

Der Widerspruch zwischen dem 2021 offiziell verlautbarten „Sprengstoffanschlag auf Asylunterkunft in Graz geklärt“ und dem Bild, das die Hauptverhandlung in Leoben zeichnete ist eklatant. Auf Nachfrage dazu äußerte sich das BMI nur insofern, dass die Justizbehörden zuständig seien und dass „Etwaige subjektive Empfindungen oder Mutmaßungen […] nicht kommentiert [werden].“ (Quelle: Antwort auf Anfrage per E-Mail) Von Seiten des Landesgerichtes Leoben blieben unsere Anfragen unbeantwortet. Hier braucht es dringend mehr öffentlichen Druck um Aufklärung voranzutreiben und rechte Netzwerke offenzulegen. Denn rassistische Gewalt muss ernst genommen werden und auch als diese benannt werden.

Medienberichte: