Am 31.03.2022, dem zweiten Verhandlungstag, kam es zur Urteilsverkündung: Philipp H. wurde unter anderem vorgeworfen als Neonazi-Rapper durch seine Liedtexte eine Vielzahl an Straftaten im Sinne des §3g des Verbotsgesetzes begangen zu haben. Er wurde wegen „besondere Gefährlichkeit“ zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren ohne Bewährung verurteilt. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

Benjamin H., dem die Anklage neben der Unterstützung seines Bruders auch die Administration einer antisemitischen Webseite anlastet, wurde ebenfalls nach §3g Verbotsgesetz zu vier Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Die Privatbeteiligten wurden mangels Klärung ihrer Ansprüche im Verfahren auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da sich alle Prozessbeteiligten Bedenkzeit erbaten. Es gilt die Unschuldsvermutung, da sich der Zweitangeklagte nur teilweise schuldig bekannt hat, zum Vorwurf der Administration der Hetzseite war er jedoch geständig.

Fehlende Informationen für die Betroffenen

Der Öffentlichkeit wurde am ersten Verhandlungstag überraschend bekannt, dass der Zweitangeklagte der seit Jahren gesuchte Administrator der antisemitischen Hetzseite „judas.watch“ war, die unter anderem Feindeslisten ins Netz stellte. Daraufhin schlossen sich zehn weitere Personen aus Österreich und Deutschland, deren Namen auf den Listen angeführt waren, der Klage kurzfristig als Privatbeteiligte an. Sie wurden hierbei durch den Anwalt Clemens Lahner vertreten. Der Anwalt Georg Zanger – ebenfalls gelistet –  tat dies bereits am ersten Prozesstag. Zwei Betroffene konnten am zweiten Prozesstag persönlich anwesend sein.

Privatbeteiligte sind durch ein Offizialdelikt (hier: Verstoß gegen das Verbotsgesetz) betroffene Personen, die sich dem Strafverfahren aufgrund privatrechtlicher Ansprüche (z.B. Schadenersatz) anschließen. Konkret betonten die Privatbeteiligtenvertreter, dass die Betroffenen durch die Nennung ihrer Namen auf den Listen verächtlich gemacht, verleumdet und bedroht wurden. Lahner gelang es zudem durch Fragen und sein Schlussplädoyer die politische Dimension des Verfahrens zu beleuchten.

So hob er hervor, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) die Betroffenen in Österreich zwar teils schon vor Jahren kontaktiert und über ihre Nennung auf den Feindeslisten informiert, sie aber nicht über die Ausforschung des Zweitangeklagten und das tatsächliche Gefährdungspotential informiert habe. Soweit wir wissen wurden Personen die auf der Feindesliste für Deutschland standen, zu keiner Zeit darüber informiert. Privatbeteiligtenvertreter von Georg Zanger, Johannes Kerbl, argumentierte ebenfalls mit Nachdruck: „Im Grunde ist das Führen solcher Listen ein Aufruf zum Mord.“

Spätestens seit Erhebung der Anklage gegen Administrator Benjamin H. im Jänner 2022 wäre es angebracht gewesen, die Betroffenen in Kenntnis zu setzen. Bereits im Juni 2021 hatte sich der Verdacht gegen ihn soweit erhärtet, dass man eine Hausdurchsuchung durchführte. Warum wurden die Betroffenen nicht also schon zu diesem Zeitpunkt über die Fortschritte im Verfahren informiert?
Die Rolle des Zweitangeklagten als Administrator der Hetzseite kam bei den Ermittlungen gegen den Erstangeklagte – seinen Bruder – ans Licht. Bei einer Hausdurchsuchung bei letzterem wurde belastendes Datenmaterial sichergestellt, darunter die einschlägige Korrespondenz der Brüder, in der sie sich zur Website austauschten. So riet der Erstangeklagte seinem Bruder beispielsweise „’judas.watch‘ auf Firmen aus[zu]weiten.“

Wurde die Gefahr unterschätzt?

In vielen der vorgetragenen Anklagepunkte ging es um die Inhalte der Songtexte, welche an Abscheulichkeit kaum zu überbieten sind: Verherrlichung der Verbrechen des Nationalsozialismus (explizit der Shoah), extremer antisemitischer, misogyner und homofeindlicher Hass, Aufruf zum „Rassenkrieg“, Vernichtung von Jüd*innen sowie politischer Gegner*innen, Wiederherstellung des Dritten Reiches, Terror und allgemeiner Gewaltanwendung.

Gerade vor diesem Hintergrund muss auch die Seite Hetzseite des Bruders betrachtet werden: Es ist naheliegend, dass es Benjamin H. zumindest darum ging, die Personen auf den Feindeslisten einzuschüchtern und ihnen zu drohen. Angesichts der Vielzahl an Waffenfunden in Österreich, die der extremen Rechten zugeordnet werden können und der Tatsache, dass die Szene sich in ihren Vernichtungsfantasien auf internationalen Foren gegenseitig offen bestärkt und vernetzt, hat der Prozess erneut gezeigt, dass die Gefahr, dieser Szene ausgeht, weiterhin unterschätzt wird.

Es ist davon auszugehen, dass sich die Menschen auf den Feindeslisten zumindest teilweise in akuter Gefahr befanden. Denn die einschlägigen Songs von Philip H. wurden schon vom rechtsterroristischen Attentäter in Halle als Soundtrack für seine Morde verwendet und die Brüder hatten in ihrem Haus nachweislich Zugang zu Waffen. Nur zehn Tage vor gseiner Festnahme soll Philipp H. im Internet nach einer Anleitung zum Selbstbau von Schusswaffen mittels 3D-Drucker gesucht haben. Außerdem übersetzte er das Manifest des rechtsterroristischen Attentäters von Christchurch und verbreitete dieses wiederum in einem einschlägigen Online-Forum. Genau diese Netzwerke wurden aber bisher nicht aufgedeckt, es bleiben viele Fragen offen.

Dieser Fall zeigt einmal mehr, dass die zuständigen Behörden zur Bekämpfung der extremen Rechten nicht ausreichen. Es braucht eine starke Zivilgesellschaft, engagierte Aufklärungsabeit, sowie effektiven Schutz und Unterstützung für Betroffene rechter, antisemitischer und rassistischer Gewalt.

Du standest auch auf der Feindesliste von „judas.watch“ oder kennst weitere Betroffene? Dann kontaktiere uns. Wir hören dir zu, berichten über deinen Fall, wenn du möchtest und unterstützen dich bei rechtlichen Schritten.

Medienberichte zum zweiten Prozesstag: