Zeug_innenbefragung – Prozess gegen die „Anatolische Föderation“

Nachdem an den ersten beiden Verhandlungstagen die Befragungen der Angeklagten abgeschlossen werden konnten und dadurch ein Prozesstag entfiel, begann der 3. Verhandlungstermin am 06.03.2019 damit, dass die vorsitzende Richterin neue Erkenntnisse von der Vereinsbehörde und eine parlamentarische Anfrage der Linken aus Deutschland bezüglich der türkischen Protestband „Grup Yorum“ aushändigte.

Insgesamt wurden seitdem 15 Zeug_innen befragt, einen Großteil davon beantragte die zuständige Staatsanwältin, um belastende Aussagen bezüglich angeblicher Verbindungen des Vereins „Anatolische Föderation Österreich“ zur DHKP-C zu hören. Die früheren Angaben gegenüber der Polizei revidierten die Zeug_innen nun vor Gericht und entlasteten somit die Angeklagten. Ein Zeuge gab zum Beispiel an, die Fragen der Polizei nicht verstanden zu haben, da er ohne Dolmetscher einvernommen wurde. Die meisten Vernehmungen fanden direkt im Anschluss an die Hausdurchsuchungen im Oktober 2015 statt. Mehrere Personen sagten im Prozess aus, dabei von den Beamt_innen bedrängt worden zu sein, eine Person gab an, sie wäre nach der Durchsuchung ohne Schuhe zum Polizeirevier mitgenommen worden und sie wurde damit eingeschüchtert, dass der türkische Geheimdienst vor dem Gebäude warte. Laut einem weiteren Zeugen wurde sogar gedroht, ihm seinen Aufenthaltstitel abzuerkennen, würde er nicht wie gewünscht aussagen.

Im Zuge der umfangreichen Nachforschungen gab es oft ähnliche Anschuldigungen gegen die Polizei. Die diesbezügliche Beschwerde beimOberlandesgericht Wien der Angeklagten und weiteren, von den Ermittlungen Betroffenen, wurde mangels Beschwerdeerhebung und wegen Nichtzuständigkeit damals zurückgewiesen. 

Weder die Richterinnen, noch der geladene BVT-Beamte, der damals eine der besagten Vernehmungen durchführte, schenkten diesen Schilderungen Gehör und Glauben. Von Seiten der Verteidigung wurde nicht darauf bestanden, die Aussagen ernst zu nehmen und auf die Drohung einer Verleumdungsklage des BVT-Beamten gegen die Zweitangeklagte, wurde kaum reagiert.

Befragungssituation im Saal 303 / CC BY-NC prozess.report

Die Zeug_innen aus dem Umfeld des Vereins brachten wenig neue Erkenntnisse. Befragt wurden beispielsweise Mitdemonstrierende des 1. Mai 2015, freiwillige Helfer_innen des Vereins, junge Erwachsene und deren Eltern, die früher den Verein besuchten. Hier lag der Fokus wie bei der Befragung der Angeklagten, auf den Tätigkeiten und politischen Ansichten des Vereins. Gezielter wurde nachgefragt, wenn es darum ging, wer den 1.Mai vorbereitet hatte, ob es Spendenboxen im Vereinslokal gab oder wer das Geld verwalte. Zu Letzterem waren auch Zeug_innen geladen, die entfernt mit dem Verein zu tun hatten. Etwa ein Buslenker, der im November 2015 einen Bus zum „Grup Yorum“ Konzert nach Oberhausen fuhr, der ehemalige Obmann vom „Forum Arena Wien“, da Personen vom Verein dort einen Kebabstand betreuten oder der Chef eines Angeklagten der seine Konzession für einen Stand am Donauinselfest zur Verfügung stellte.

Um dem Einwurf der Verteidigung, der Verein sei bisher nicht aufgelöst worden, zu begegnen, war der stellvertretende Leiter der Vereinsbehörde der LPD Wien geladen. Dieser gab an, er habe in der Vorbereitung auf seine Aussage im Akt „nachgeschaut und keine Hinweise auf irgendetwas gefunden.“ Das Gericht und die Staatsanwaltschaft fragten nach, wie eine Vereinsauflösung wegen strafrechtlicher Vergehen ablaufe und ob er über etwaige Ermittlungen informiert werde. Eine solche Auflösung würde erst nach einer rechtskräftigen Verurteilung erfolgen können, über Ermittlungen im Vorfeld wisse er nichts. Über ein stattgefundenes informelles Gespräch zwischen BVT und Vereinsbehörde betreffend der „Anatolischen Föderation Österreich“ hat der Zeuge keine Kenntnisse, der damalige Leiter der Vereinsbehörde könnte eventuell darüber Auskunft erteilen und es wird versucht, ihn für den nächsten Verhandlungstermin zu laden. 

Der Landessprecher der KPÖ Wien machte in seiner Befragung vor Gericht klar, dass er den Verein als antifaschistisch und antirassistisch kennenlernte, der sich auch für den Erhalt der Menschenrechte in der Türkei einsetze. Die Partei hatte schon 2013 die Band „Grup Yorum“ zum Volksstimmefest eingeladen, seitdem mehrere Visa-Anträge unterstützt und einmal Räumlichkeiten der KPÖ zur Verfügung gestellt. Er äußerte sich oft kritisch zur Anklageschrift:

(…)jetzt wird ihnen vorgeworfen mit diesem 278er Paragraphen, dass sie die öffentliche Sicherheit, die Staatssicherheit gefährden aber interessanterweise, wenn ich das jetzt richtig interpretiere die Staatssicherheit in der Türkei, das Österreich für die Staatssicherheit in der Türkei zuständig ist, ist mir eine Neuigkeit. (…) Unserer Wahrnehmung tritt die Anatolische Föderation für Demokratie in der Türkei ein und für die Einhaltung der Menschenrechte ein. (…)“

Seine Ausführungen wurden mehrfach unterbrochen. Vielmehr interessierte das Gericht, ob er Kenntnisse über Verbindungen zwischen AFÖ und DHKP-C hat. Dazu meint er:

Mir wäre nicht bekannt dass in Österreich oder Wien eine Person existiert die für die DHKP-C sprechen darf, kann, das Geld einsackelt etc. (…) so eine Person ist mir nicht bekannt.“

Der Vizebürgermeister von Neunkirchen war geladen um über das „Multi-Kulti“-Sommerfest in Neunkirchen im Juni 2015, bei dem auch „Grup Yorum“ auftrat, zu berichten. Die Staatspolizei hatte wegen des geplanten Konzertes der Band versucht dort zu intervenieren, worauf er den Kontakt zu Parteikolleginnen suchte und im Internet recherchierte, um sich über die Band zu informieren. Auf Nachfrage wieso damals interveniert wurde, gab der Zeuge an zu vermuten, dass die Band in der Türkei nicht erwünscht sei, da sie als regimekritisch gelte. Das Fest konnte wie geplant stattfinden. Das Konzert, an dem er auch selbst teilnahm, beschrieb er als freundschaftlich und gemütlich. Da er kein türkisch spricht, konnte er dem Gericht auf Nachfrage nicht sagen, worum esin den Liedtexten ginge, die an dem Tag dort gespielt wurden. 

Zu den angeblich verherrlichenden und einschlägigen Inhalten von „Grup Yorum“, als auch zu den Inhalten der türkischen Wochenzeitschrift „Yürüyüş“, fehlen bis heute also jegliche Erkenntnisse vor Gericht. Der Verteidiger des Drittangeklagten stellte darum am Ende des vierten Prozesstages den Antrag, alle bisher eingebrachten Ausgaben der „Yürüyüş“ zu übersetzen.

Die Übersetzung der Befragungen war am vierten Prozesstag generell etwas untergegangen. So ließ das Gericht lediglich kurz vor der Mittagspause und vor Ende des Verhandlungstages die Aussagen der Zeug_innen aus ihren Notizen für die Zweitangeklagte zusammenfassend übersetzen. Dabei fiel auf, dass vor allem entlastende Aussagen nicht Teil der Übersetzungen waren. Am Ende des Tages kam der Vorsitzenden eine Unterbrechung für die Stellungnahme der Zweitangeklagten zugute, da sie kurz davor war, den Verhandlungstag bereits zu schließen und erst dann noch hinzufügte, die Übersetzung nach der Mittagspause müsse auch noch geschehen.

Für den nächsten Verhandlungstag am 12.03.2019 sind die Abschlussplädoyers geplant, ob es am selben Tag auch zum Urteil kommen wird, hängt von der Dauer der Beratung des Schöff_innensenats ab. 

Berichterstattung