In der Nacht vom 10. auf den 11. September 2010 detonierte vor dem Eingang der Caritas-Unterkunft in Graz ein Sprengsatz. Nun, über 13 Jahre später, standen drei Männer vor Gericht und wurden diesbezüglich freigesprochen. Von der erhofften Aufklärung des rassistischen Anschlags ist man nach dem dreitägigen Prozess weiter entfernt als zuvor. Lest unseren Bericht.

Am 23. April eröffnete die Initiative Minderheiten ihre Ausstellung über die rechtsterroristische Anschlagsserie vor 30 Jahren im Volkskundemuseum Wien. Warum ihr sie unbedingt besuchen sollte, lest ihr in unserem Bericht.

Am 23. April 2024 eröffnete die Initiative Minderheiten ihre Ausstellung im Volkskundemuseum Wien. Unter dem Titel „Man will uns ans Leben“ – Bomben gegen Minderheiten 1993-1996 dokumentiert die Ausstellung die unvergleichbare rechte Terrorserie vor 30 Jahren. 
In ganz Österreich, aber auch in Deutschland, erhielten insgesamt 25 Personen und Organisationen Briefbomben. Zur gleichen Zeit detonierten in einer zweisprachigen Schule in Kärnten und im burgenländischen Oberwart Spreng- bzw. Rohrbomben.

Die Anschläge hatten vier Tote, vier lebensgefährlich Verletzte und neun Verletzte zur Folge. Josef Simon, Karl Horvath, Erwin Horvath und Peter Sarközi kamen in Oberwart ums Leben. Die Ausstellung gedenkt ihnen.

Durch neun Interviews mit Zeitzeug*innen gelingt es, sowohl die politische Dimension dieser Zeit, als auch die Perspektiven der Betroffenen ins Zentrum zu stellen. Zudem wird thematisiert welche selbstorganisierten Kämpfe Minderheiten schon damals führten und welche Errungenschaften es zu verteidigen gilt.


Von einem „weggewischten Trauma“ sprach man bei der Ausstellungseröffnung über die Zeit vor 30 Jahren und machte deutlich, dass auch heute noch gilt: Das Klima bedingt die Tat! Die Eröffnung am 23. April endete mit einem Appell von Terezija Stoisits sich weiter gegen dieses rassistische Klima zu stellen. Die Ausstellung leistet einen wichtigen Beitrag dazu.
Mehr zur Ausstellung erfahrt ihr im „von Unten“-Interview mit den Kuratorinnen Vida Bakondy, Cornelia Kogoj und Gamze Ongan von der Initiative Minderheiten. 

Ausstellung der Initiative Minderheiten


24. 04. – 25. 08. 2024 | Volkskundemuseum Wien
20. 09. – 24. 11. 2024 | kärnten.museum, Klagenfurt
07. 02. – 08. 03. 2025 | Offenes Haus Oberwart (OHO)

Begleitprogramm Wien

6.5. 18 Uhr Kurator:innenführung
19 Uhr Präsentation Zeitschrift STIMME zu Rechtsextremismus

12.5. 15 Uhr Dialogführung mit Cornelia Kogoj (Mitkuratorin, Initiative Minderheiten) im Gespräch mit Joža Messner, Arzt und Mitinitiator der Elterninitiative für eine Öffentliche zweisprachige Volksschule in Klagenfurt/Celovec. Die Schule war im Jahr 1994 Ziel eines Rohrbombenanschlag

19.5. | 2.6. jeweils 15 Uhr Sonntagsführung durch die Ausstellung

27.6. 18 Uhr Dialogführung mit einer Zeitzeug:in

19 Uhr Podiumsdiskussion: Rechtsruck in Österreich?

3.7. 18 Uhr Kurator:innenführung

“Im Zweifel für den Angeklagten”. Jeder kennt diesen Spruch. Genauso das Bonmot: “Wo kein Kläger, da kein Richter.” Am 1. Februar 2024 endete im steirischen Leoben nach drei Verhandlungstagen ein Prozess bei dem es hätte heißen müssen: „Wo zu wenig Beweismittel, da keine Verurteilung.“ Denn wenn eines klar war, dann, dass hier während der Ermittlungen einige Fehler passiert sind. Aber der Reihe nach: was ist eigentlich passiert?

Am 11. September 2010 detonierte nachts ein Sprengsatz vor dem Eingang einer Unterkunft für Geflüchtete der Caritas. Verletzt wurde durch die unmittelbare Explosion – zumindest körperlich –niemand. In weiterer Folge verletzte sich jedoch ein Bewohner durch einen Sturz am Kopf, als er nachschauen wollte was passiert war. Dies war aber reines Glück, denn der Anschlag erzeugte eine Druckwelle, die von Zeuginnen noch 70 Meter weiter entfernt zu spüren war. Sie beschrieben die meterhohen Staubaufwirbelungen noch Jahre später eindrücklich. Teile des Sprengsatzes drangen ins Mauerwerk ein und blieben dort stecken. Im Oktober 2021, ließ das Bundesinnenministerium in einer Pressemeldung verlauten “Sprengstoffanschlag auf Asylunterkunft in Graz geklärt”.

Foto vom Gericht in Leoben, zu sehen ist vor allem die Steinmauer am Einfang mit der Beschriftung: Justizzentrum Leoben, Landesgericht Leoben, Staatsanwaltschaft Leoben, Bezirksgericht Leoben und links dem Bundeswappen / Adler
© Doku Service Steiermark

Doch nun stellte sich heraus, dass das nicht nur nicht stimmt, sondern, dass es im Zuge der Aufklärungsversuche zu zahlreichen Ermittlungspannen kam. Angeklagt waren 3 Männer im Alter von 28 bis 32 Jahren. Jene sollen Verbindungen zur damaligen rechtsextremen Szene in Mariazell gehabt haben, oder dieser selbst angehört haben. Angeklagt waren sie nicht nur wegen des Sprengstoffanschlags, sondern auch wegen einschlägiger Tätowierungen, Facebook-Postings, einer Hakenkreuzfahne im Kinderzimmer, sowie einer neonazistischen Parole – alles nach dem Verbotsgesetz wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung. Die Verhandlung selbst war schon ein fast filmreifes Event: so zog der Hauptangeklagte am ersten Verhandlungstag sein Geständnis zurück. Dies tat er mit der Begründung, er sei vom Verfassungsschutz so unter Druck gesetzt worden, dass er sich alles im Wesentlichen ausgedacht hätte. Wäre das nicht schon skandalös genug, so stellte sich auch noch heraus, dass es zu zahlreichen Ermittlungspannen im Zuge der Aufarbeitung des Falls gekommen war.

Behördenversagen nimmt kein Ende

So wurden etwa Haut und Haarspuren, welche am Tatort gefunden wurden, zwar als Beweismittel aufgenommen und mit den Resten der Bombe zur technischen Überprüfung übergeben, jedoch nicht auf DNA-Spuren untersucht. Zudem wurde ausgerechnet beim Hauptbelastungszeugen und Bruder des Zweitangeklagten kein DNA-Abgleich durchgeführt, obwohl letzterer die ganzen Ermittlungen ja erst wieder ins Rollen gebracht hatte, indem er den Erstangeklagten damals gegenüber einem LVT-Beamten identifiziert hatte. Bei der Auswertung des Materials einer Überwachungskamera, welche den möglichen Täter aufgezeichnet hatte, wurde damals keine Größenabschätzung vorgenommen. Da das im Video zu sehende Gebäude abgerissen wurde und die Originalaufnahmen nun auch fehlen, ist dies nicht mehr möglich. Weiters wurden Zeug*innenaussagen damals nicht protokolliert, oder der Name der aussagenden Person nicht aufgenommen. Originalbeweismaterial, unter anderem ein Mitschnitt des Geständnisses vom Erstangeklagten, war ebenfalls nicht mehr auffindbar. Die Folge dieser auch von der Verteidigung der Angeklagten bemerkten “Schlampereien” war ein dreifacher Freispruch in der Causa des Anschlags. Es kam zu zwei nicht rechtskräftigen Verurteilungen zu 15 bzw. 24 Monaten bedingter Haftstrafe wegen Tätowierungen, jeweils für den Erst- und Drittangeklagten.

Auch diesmal hat sich gezeigt, wie wichtig kritische und kontinuierliche Prozessbeobachtung ist. An dieser Stelle danken wir „Von Unten“ und „Doku Service Steiermark“ für die gemeinsame Beobachtung. Vieles war an diesem Prozess ungewöhnlich und machte uns teilweise sprachlos. Leider nicht ungewöhnlich war der verharmlosende Umgang mit der vorgeworfenen rassistischen Tat: dass es hier um das Leben von Menschen ging, geriet viel zu oft in den Hintergrund. Auch sprach man immer wieder von der „rechten Szene“ oder „rechten Jugendlichen“, die sich damals trafen, was angesichts der rechtsextremen bis neonazistischen Umtriebe in Mariazell entpolitisierend wirkte.

Die Perspektive der Betroffenen füllte in dem Fall nur ein Mitarbeiter der Caritas aus, für dessen Befragung nicht viel Zeit vorgesehen war. Er schilderte, wie verängstigt und eingeschüchtert man nach dem Anschlag gewesen sei und dass man zum Schutz einen Security beauftragte. Hinzu kamen immer wieder rassistische Begriffe, die an das Klima im Jahr 2010 erinnerten und längst überholt wirkten.Verhandelt wurde es als eine vereinzelte Tat von drei jungen Männern, doch, wie diese Recherche von „Stoppt die Rechten“ zeigt, war auch dieser Anschlag kein Einzelfall.

Innenministerium hüllt sich in Schweigen

Der Widerspruch zwischen dem 2021 offiziell verlautbarten „Sprengstoffanschlag auf Asylunterkunft in Graz geklärt“ und dem Bild, das die Hauptverhandlung in Leoben zeichnete ist eklatant. Auf Nachfrage dazu äußerte sich das BMI nur insofern, dass die Justizbehörden zuständig seien und dass „Etwaige subjektive Empfindungen oder Mutmaßungen […] nicht kommentiert [werden].“ (Quelle: Antwort auf Anfrage per E-Mail) Von Seiten des Landesgerichtes Leoben blieben unsere Anfragen unbeantwortet. Hier braucht es dringend mehr öffentlichen Druck um Aufklärung voranzutreiben und rechte Netzwerke offenzulegen. Denn rassistische Gewalt muss ernst genommen werden und auch als diese benannt werden.

Medienberichte:


Der Administrator der antisemitischen Webseite Benjamin H. stand laut „Stoppt die Rechten“ auf einer internen Liste der neofaschistischen „Identitären“ aus 2017. Überraschend ist nur, dass dies erst jetzt bekannt wird. Deshalb fordern wir weiter: Betroffene schützen und extrem rechte Netzwerke aufklären!

Der Administrator der antisemitischen Webseite Benjamin H. stand laut „Stoppt die Rechten“ auf einer internen Liste der neofaschistischen „Identitären“ aus 2017. Überraschend ist nur, dass dies erst jetzt bekannt wird.

Am 29. März 2022 startete in Wien der mit Spannung erwartete Prozess gegen Philip H., den Neonazirapper „Mr. Bond“. Dass sein Bruder als Betreiber von „Judas Watch“ ausgeforscht wurde und sich unter anderem dafür vor Gericht verantworten musste, wurde erst durch die Anklageverlesung öffentlich. Die über 1.700 dort als Feinde markierten Einzelpersonen und Organisationen erfuhren erst durch die Medienberichterstattung davon. Nur durch schnelles Handeln und unser gemeinsames Engagement konnten sich am zweiten Prozesstag zehn weitere Personen dem Verfahren als Privatbeteiligte anschließen und somit zumindest den Versuch starten die politische Dimension und die Bedrohungslage zu verdeutlichen.

Was war „Judas Watch“? – Video vom World Jewish Congress

Durch das Nicht-Informiert Werden wurde eine effektive Beteiligung am nur zweitägigen Strafprozess verunmöglicht. So war es in der Kürze der Zeit nicht möglich Akteneinsicht zu nehmen und sich somit über die stattgefundene Ermittlungsarbeit zu informieren. Viele Betroffene kritisierten den Umgang mit ihnen in diesem Fall.

Die Berufungsverhandlung am Wiener Oberlandesgericht nutzen einige der Betroffenen um ihre Kritik öffentlich zu machen und forderten in einer Presseaussendung „Opfer rechter Gewalt endlich ernst [zu] nehmen!“. Erneut hoben sie hervor, dass sie zu wenig unterstützt wurden und das es einen anderen Umgang mit der Gefahr durch die extreme Rechte braucht.

Bis heute sind viele Fragen offen geblieben, das Netzwerk hinter den beiden verurteilten Brüdern wurde nicht ausgeleuchtet, wie die aktuelle Enthüllung von „Stoppt die Rechten“ verdeutlicht.

Deshalb fordern wir weiter: Betroffene schützen und extrem rechte Netzwerke aufklären!

Weiter informieren:

Seit 9 Jahren beobachten wir Gerichtsprozesse, gestartet haben wir unser kleines Projekt in Solidarität mit den Angeklagten vom Fluchthilfeprozess. Wir kritisieren weiterhin die Kriminalisierung von Migration, die tagtäglich stattfindet und sich auch vor Gericht widerspiegelt. Wir sind solidarisch mit Aktivist*innen, die nach Protesten angeklagt werden und begleiten sie auch bei Beschwerden nach Polizeigewalt.

Wir beobachten Prozesse kontinuierlich, von Anfang bis zum Schluss, sind oft die einzige Öffentlichkeit im Gerichtssaal, ordnen unsere Erfahrungen politisch ein und recherchieren weiter. Es ist notwendig die Arbeit staatlicher Akteur*innen kritisch zu hinterfragen und sichtbar zu machen was falsch läuft. Denn vor Gericht werden Menschen nicht gleich behandelt, auch der Zugang zu Informationen ist sehr unterschiedlich geregelt. Wir wollen mehr kritische Öffentlichkeit in Gerichtssäle bringen und möglichst niederschwellig erklären, was dort passiert.

In den letzten Monaten ist es uns gemeinsam mit „Stoppt die Rechten“ gelungen ein österreichweites Netzwerk an Prozessbeobachter*innen aufzubauen, mit dem wir vor allem Verbotsgesetz- und Verhetzungsprozesse beobachten. Der Umgang mit Rechtsextremismus und Neonazismus ist nach wie vor geprägt von Verharmlosung, Entpolitisierung und dem Festhalten am vermeintlichen „Einzeltäter“-Mythos. Durch unsere gemeinsame, kontinuierliche und kritische Beobachtung solcher Prozesse leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über die extreme Rechte in Österreich.

Wenn auch Du Gerichtsprozesse beobachten oder uns anders unterstützen willst, melde dich bei uns oder komm am 14. Juli 2023 zu unserem offenen Treffen nach Wien.

Am Montag waren wir gemeinsam mit dem Doku Service Stmk und Radio Helsinki/von Unten im Grazer Landesgericht.
Es ging um einen ehemaligen Bundesheer-Rekruten mit Verbindungen zu den ‚Identitären‘ und Unterstützer*innen des verurteilten Neonazi-Rappers ‚MrBond‘. Vor Gericht kamen weitere Betätigungsfelder (abseits des Internets) zur Sprache. Lest unseren Bericht.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet wurden im November 2022 zwei Personen in Wiener Neustadt verurteilt, da sie Waffen und NS-Devotionalien besessen hatten.

Im Prozess wurden die Vernetzungen des Erstangeklagten und die Herkunft der Waffen zu wenig beleuchtet. Auch die politische Dimension des Falles wurde kaum thematisiert.

Angesichts der regelmäßigen Waffenfunde ist das Desinteresse vor Gericht besorgniserregend.

-> Lest unseren Bericht

Die Haftstrafen für den Neonazirapper ‚Mr. Bond‘ und seinen Bruder, den Betreiber der antisemitischen Plattform ‚Judas Watch‘, wurden vom Oberlandesgericht Wien bestätigt. Einen ausführlichen Prozessbericht findet ihr hier.

Um die Perspektiven und Forderungen von Opfern rechter Gewalt sichtbarer zu machen, haben wir Personen die auf ‚Judas Watch‘ gelistet waren um ein Statement gebeten. Wenn auch du dazu gehörst und der Öffentlichkeit etwas zu sagen hast, melde dich gerne bei uns!

-> Presseaussendung der JÖH & ÖH Uni Wien

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